Die rund 300 Besucher singen das Lied "Wir glauben all an einen Gott", die Kinder werden zum Kindergottesdienst verabschiedet. Dann kommt Pfarrer Rolf Günther mit zwei 20-Liter-Milchkannen aus der Sakristei.
Den Inhalt schüttet er auf die Altarteppiche. Es ist Benzin.
Anschließend hält Günther seine Arme über die brennenden Altarkerzen. Der 41-Jährige, der in der Sakristei auch seinen Talar mit Benzin getränkt hat, steht sofort in Flammen. Der Brand greift auf den Altarraum über. Der Pfarrer entrollt noch ein Plakat mit der Aufschrift «Wacht endlich auf!». Hals über Kopf flüchten die Gottesdienstbesucher aus der Kirche. Keiner von ihnen erleidet Verletzungen. Günther hingegen stirbt sofort.
Für viele Kirchenmitglieder sind die Ereignisse ein Schock. «Da haben manche noch heute dran zu knaupeln», sagt der Falkensteiner Pfarrer Volkmar Körner 30 Jahre später. Es hätten ja alle sterben können, fügt er hinzu. In einer aktuellen Erklärung von Landeskirche und Falkensteiner Gemeinde wird die Selbstverbrennung als «schmerzlich» bezeichnet. Zum 30. Jahrestag der Ereignisse ist am Mittwoch in Falkenstein erstmals eine offizielle Andacht geplant.
Nach dem Kirchenbrand werden Polizei, Staatsanwaltschaft und Staatssicherheit sofort aktiv. Erinnerungen an die Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz werden wach. Er hatte sich zwei Jahre zuvor aus politischen Gründen auf offener Straße in Zeitz (Sachsen-Anhalt) verbrannt. Neue Negativschlagzeilen in der westlichen Presse sollen unbedingt vermieden werden. Schnell aber ist auch klar: Bei Günther liegt der Fall anders.
Seiner Selbstverbrennung ging innerhalb der Gemeinde ein schwerer Konflikt über theologische Positionen und Frömmigkeitspraxis voraus. Günther stand in Widerspruch zu den glaubensstrengeren Volksmissions-Gruppen, denen er Sektierertum vorwarf. Knapp zwei Wochen vor der Selbstverbrennung wurde er vom Kirchenvorstand faktisch entlassen.
Auch der frühere Zwickauer Dompfarrer Edmund Käbisch schreibt in einem 2007 erschienenen Buch, dass Günther mit der Selbstverbrennung kirchliche Missstände anklagen wollte. Der unverheiratete Theologe habe sich nach heutigen Begriffen ständigem Mobbing gegenübergesehen und sich auch von der Landeskirche alleingelassen gefühlt. Zugleich wird er aber auch als stur und wenig kompromissbereit beschrieben.
Einen möglichen Wechsel in andere Gemeinden lehnte er ab.
Alleingelassen kam sich aber auch der Falkensteiner Kirchenvorstand vor. Obwohl die harten Auseinandersetzungen bekannt gewesen seien, habe das Landeskirchenamt kaum etwas unternommen, beschwerten sich seine Vertreter damals. In ihrer aktuellen Erklärung bedauert die Landeskirche, dass die damaligen Bemühungen die Selbsttötung nicht verhindert haben. Der Dresdner Oberlandeskirchenrat Christoph Münchow räumt Versäumnisse der Landeskirche ein, verweist aber auf eine «unglückliche Verkettung von Umständen».
Die Selbstverbrennung hatte durchaus politische Folgen, wie Edmund Käbisch in seinem Buch schildert. Demnach ging die Stasi nach dem Vorfall in Falkenstein mit einem eigens entworfenen «Maßnahmeplan» massiv gegen die sächsische Landeskirche vor. Sie habe sogar eine anonyme Briefaktion angeblicher Günther-Anhänger initiiert, um innerkirchlich bestehende Konflikte weiter zu verschärfen, so Käbisch.