Vor 30 Jahren feierte die Serie "Holocaust" im deutschen Fernsehen Premiere

Judenermordung als Familiengeschichte

Filme über die Gräuel der nationalsozialistischen Vernichtungslager sind in deutschen Kinos und Wohnstuben schon länger nichts Besonderes mehr. Vor 30 Jahren war das anders, als die Fernsehserie "Holocaust" Premiere feierte.

Autor/in:
Guido Bee
 (DR)

Zwar war die Ermordung der europäischen Juden damals bereits in zahlreichen Fernsehbeiträgen dargestellt worden. Doch diese Sendungen waren allesamt dokumentarischer Natur und erreichten nur in begrenztem Maße das Vorstellungsvermögen der Zuschauer.

Dann aber kam "Holocaust", eine in den USA von der NBC produzierte Fernsehserie von Marvin Chomsky, die weltweit Aufsehen erregte, weil sie sich der Thematik im Genre der Familiengeschichte näherte. Das Schicksal der fiktiven jüdischen Familie Weiss führte dem Zuschauer unterschiedliche Formen der Verfolgung und Vernichtung der Juden vor Augen. Parallel dazu wurde die Geschichte des ebenfalls fiktiven Erik Dorf erzählt, der im NS-Regime Karriere macht und als Adjutant des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), Reinhard Heydrich, die Massenvernichtung organisiert.

Der aufwendig produzierte Vierteiler, in dem Stars wie James Woods und Meryl Streep mitwirkten, wurde im Januar 1978 in den USA ausgestrahlt. Es verging ein Jahr, bis "Holocaust" auch im deutschen Fernsehen zu sehen war. Nachdem die ARD nach heftigen internen Debatten auf eine Ausstrahlung im Ersten Programm verzichtete, wurde die Serie vom 21. bis 26. Januar 1979 in den Dritten Programmen gezeigt. Die Resonanz war gewaltig und übertraf die Erwartungen bei
weitem: Von 31 Prozent beim ersten Teil stieg die Einschaltquote auf 40 Prozent beim letzten Teil; selbst die jeweils nachgeschaltete Diskussionssendung "Anruf erwünscht" erreichte noch eine Beteiligung von 18 Prozent.

Kontroverse nach der Ausstrahlung
Die kontroverse Diskussion im Anschluss an die Ausstrahlung entzündete sich vor allem an den ästhetischen Mängeln der Serie. Tatsächlich war die Machart von "Holocaust" überaus konventionell. Die Dramaturgie krankte an dem Problem, alle Facetten der Nazi-Diktatur an einer einzigen Familie sichtbar machen zu müssen. Und die vielfachen melodramatischen Einschübe trugen überdies zur Verfälschung und Verharmlosung der Massentötungen bei.

Wegen der großen emotionalen Wirkung der Serie hatten Kritiker, die auf ihre künstlerische Dürftigkeit hinwiesen, jedoch einen schweren Stand. Einschaltquoten und Zuschauerpost sprachen eine eigene Sprache. Der Erfolg von "Holocaust" war nachhaltig für das deutsche Fernsehen der 80er Jahre, das nun immer mehr auf Stoffe aus der deutschen Geschichte setzte, die anhand von Einzelschicksalen erzählt wurden. Künstlerisch ungleich bedeutendere Projekte wie "Heimat" von Edgar Reitz, "Rote Erde" von Klaus Emmerich und "Väter und Söhne" von Bernhard Sinkel sind ohne diesen Vorläufer nicht zu denken.

Hinsichtlich der filmischen Darstellung der Nazi-Gräuel erzielte "Holocaust" einen Dammbruch. Die Vernichtung der Juden galt nun als filmerzählerisch vermittelbar. Auf dieser Basis konnten Werke wie Steven Spielbergs "Schindlers Liste" (1993) oder Roberto Benignis "Das Leben ist schön" (1997) aufbauen.