Vor 25 Jahren starb Vatikandiplomat Kardinal Casaroli

"Vater der vatikanischen Ostpolitik"

Die außenpolitischen Weichenstellungen Kardinal Agostino Casarolis gelten für die Diplomatie des Vatikan bis heute. Auch Papst Franziskus bezieht sich gerne auf den Spitzendiplomaten. Vor 25 Jahren ist er verstorben.

Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli / © KNA-Bild (KNA)
Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli / © KNA-Bild ( KNA )

"Ein Großer hört auf": So lautete die Überschrift des Leitartikels der kommunistischen italienischen Tageszeitung "Unita" als Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli im Dezember 1990 zurücktrat. Der damals 76-jährige Vater der vatikanischen Ostpolitik trat pünktlich zur Auflösung des Eisernen Vorhangs von der politischen Weltbühne ab. Zuvor war er seit den 1960er Jahren die Symbolfigur einer gegenüber den kommunistischen Autokratien weich auftretenden Außenpolitik. Auch Papst Franziskus beruft sich auf den diskreten Diplomaten – und weist Kritik an seiner eigenen Linie gegenüber der Volksrepublik China unter anderem mit Verweis auf Casaroli zurück.

Agostino Casaroli, emeritierter Kardinalstaatssekretär / © KNA-Bild (KNA)
Agostino Casaroli, emeritierter Kardinalstaatssekretär / © KNA-Bild ( KNA )

Zeuge in der ersten Reihe

Seine vatikanische Karriere hatte Casaroli im Kriegsjahr 1940 im Staatssekretariat begonnen. Fortan war der aus Piacenza stammende Schneidersohn in der ersten Reihe Zeuge der weltpolitischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts. Casaroli war es, der seit 1963 die Regeln des "Kalten Kriegs" und die stramm antikommunistische Linie Pius XII. im Auftrag von Papst Johannes XXIII. aufzuweichen suchte. Er knüpfte Kontakte mit Repräsentanten der verschiedenen Blöcke – von Kuba über Ungarn und die Tschechoslowakei und Jugoslawien bis nach Moskau. 

Abrüstungsexperte

Paul VI. bestätigte die nicht unumstrittene Linie der Ostpolitik Casarolis. Der Piemontese wurde ein Abrüstungsexperte in einer Zeit, in der der Rüstungswettlauf das "Gleichgewicht des Schreckens" bestimmte und die Angst vor einem Atomkrieg konkret war. Für Abschreckung plädierte der Kardinal ebenso wie für das Recht auf legitime Verteidigung im Angriffsfall. Er sorgte durch sein jahrzehntelanges Mitwirken bei der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) für die internationale Anerkennung des Rechts auf Religionsfreiheit und dessen Verankerung in den Verfassungen der 34 KSZE-Mitgliedsstaaten der Helsinki-Schlußakte aus dem Jahre 1975.

Zweiter Mann im Vatikan 

Als Kardinalstaatssekretär Johannes Paul II. und damit zweiter Mann im Vatikan nach dem Papst stand er elf Jahre lang im Rampenlicht. Es waren die Jahre, in denen der Kardinal vor allem innerkirchlich und im vatikanischen Gefüge an Macht gewann. Außenpolitisch trat eine schärfere Position gegenüber Moskau und den linken Autokratien in den Vordergrund, wie es den Vorstellungen des polnischen Papstes eher entsprach. Die Öffentlichkeit hat das als Bruch des Heiligen Stuhls mit der "Ostpolitik" wahrgenommen – die schlussendlich auch zum Sieg des Katholizismus über den Kommunismus führen sollte.

Fingerspitzengefühl

Diplomatisches Geschick, Gelassenheit, Ausgeglichenheit und Geduld sind die Eigenschaften, die Casaroli positiv zugeschrieben werden. So sind die mit Fingerspitzengefühl organisierten Besuche des sowjetischen Präsidenten Nikolai Wiktorowitsch Podgorny bei Paul VI. ebenso in die jüngere Papstgeschichte eingegangen wie Casarolis historische Begegnung mit Michail Gorbatschow 1988 in Moskau am Rande der kirchlichen Tausendjahrfeiern. 

Papst Johannes Paul II. empfängt den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow am 1. Dezember 1989 im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Johannes Paul II. empfängt den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow am 1. Dezember 1989 im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Damals wurde der Grundstein für den ersten historischen Besuch Gorbatschows bei Papst Johannes Paul II. im Dezember 1989 im Vatikan gelegt. Erste Kontakte für die lange auf Eis liegenden Beziehungen zur damaligen Sowjetunion hatte der Kardinal bereits 1971 geknüpft, als er zur Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrags nach Moskau gereist war.

Vater eines "Irrwegs" päpstlicher Diplomatie

Während Papst Franziskus sich gerne auf den päpstlichen Spitzendiplomaten bezieht und den Titel seiner Memoiren "Martyrium der Geduld" zitiert, wenn er für seine China-Politik kritisiert wird, sehen Kritiker in Casaroli den Vater eines "Irrwegs" päpstlicher Diplomatie. So deutet der Alt-Erzbischof von Hongkong, Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, Casarolis Prioritäten als eine Grundlage für "grenzenlose Kompromisse" und einen "Selbstmord" gegenüber der Volksrepublik China, mit der der Heilige Stuhl ein Geheimabkommen geschlossen hat.

Umstrittener Brückenbauer

Der am 9. Juni 1998 – vor 25 Jahren – verstorbene Vatikandiplomat ist somit immer noch präsent in der momentanen Außenpolitik des Vatikans. Und diese polarisiert wie zu dessen Lebzeiten, wie die Reaktionen auf den diplomatischen Kurs gegenüber der Ukraine und Russlands zeigt. Casaroli ist mit seinem Gelingen und Scheitern zu einer Bezugsgröße geworden, an der sich auch heute die außenpolitischen Experten des Papstes orientieren. 

Vorbildlich dürfte für Papst Franziskus gelten, dass sich der Kardinal bis ins hohe Alter als "Pater Agostino" um jugendliche Strafgefangene und um geistig behinderte Kinder gekümmert hat. Das ist aber eine unbekanntere Facette seines Lebens im Dienst der Kirche.

Quelle:
KNA