Vor 150 Jahren wurde zuletzt ein Nicht-Priester Kardinal

Der Laie unter den Papstwählern

Mehr als 40 Jahre trug er den Kardinalspurpur, sechs Jahrzehnte war er eine der einflussreichsten Gestalten der römischen Kurie; Priester war er nicht.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Theodulf Mertel, engster juristischer Berater zweier Päpste, stieg als Laie in den Kreis der Kirchensenatoren und Papstwähler auf. Seine Ernennung zum Kardinal am 15. März 1858, vor 150 Jahren, war das bislang letzte Mal, dass einem ungeweihten Katholiken diese Ehre zuteilwurde. Mertels Lebensweg war eine Auswanderer-Karriere: Der Vater des Kardinals, Isidor Mörtl aus dem bayerischen Eglfing, suchte im damaligen Kirchenstaat sein Glück als Bäcker. Nach Startschwierigkeiten in Rom fand er 1803 Anstellung in Allumiere, einer päpstlichen Bergwerkssiedlung im nördlichen Latium. Der Ehe mit der Vorarlbergerin Maria Franziska Lunadei entsprang am 9. Februar 1806 als erstes Kind Theodulf - oder Teodolfo, wie ihn die staatlichen Akten führen. Was die Eltern sich vom Leben in der Fremde an Glück erhofft hatten, sollte der Junge einmal einlösen.

Theodulf Mertel studierte in Rom und wurde Jurist mit einer glänzenden Karriere: Mit kaum 37 Jahren stand er dem Zivilgerichtshof als Präsident vor, 1848 ernannte ihn der Papst zum Auditor im Kirchengericht der Römischen Rota. Mertel führte damit den Titel eines Prälaten, obwohl er keine geistliche Weihe erhalten hatte.

Die Gärungen der Revolutionszeit brachten gewaltige staatsrechtliche Herausforderungen für die Kirche, und Pius IX. lernte den begnadeten Advokaten an der Kurie schnell schätzen. Mertels Meisterstück wurde der Entwurf für die Statuten des Kirchenstaats. Als Sekretär der Kardinalskommission fertigte er in fieberhafter Arbeit über Nacht einen 69 Artikel umfassenden Entwurf; der Papst akzeptierte den Text ohne jede Änderung.

Mertel galt nun als juristische Autorität am päpstlichen Hof. 1853 berief ihn Pius IX., kurz zuvor aus dem Exil in Gaeta zurückgekehrt, in die Leitung des Kirchenstaats; zunächst als Justizminister, dann als Chef des Innenressorts. Nur folgerichtig war, dass der Papst ihn auch in seinen engsten Beraterkreis holte. Am 15. März 1858 empfing Theodulf Mertel den Kardinals-Purpur. Ernannt wurde er als Laie - aber unmittelbar vor der feierlichen Kreierung erbat er sich die niederen Weihen bis zum Subdiakon und trat damit in den Klerikerstand über.

Als «Senator» des Papstes nahm Mertel am Ersten Vatikanischen Konzil von 1870/71 teil - und sprach sich in den erhitzten Debatten für eine juristisch-differenzierte Fassung der Unfehlbarkeit aus. «Man muss aufpassen, dass nicht Eiferer ohne Unterscheidungen und Verfechter exzessiver Auffassungen größere Probleme bereiten als die Gegner», mahnte er. «Es geht nicht an, dass alles, was Päpste getan und gesagt haben, als Dogma gilt.»

Die Ereignisse um die italienischen Nationalerhebung beendeten das Konzil vorzeitig. Auch in dieser Krisenzeit war Mertel der Mann des Vertrauens von Pius IX.: Er formulierte das Schreiben, mit dem der Papst gegen die Auflösung des Kirchenstaats protestierte. Pius IX. dankte es dem loyalen Juristen, indem er ihn zum Vizekanzler der Heiligen Römischen Kirche und zu seinem persönlichen Testamentsvollstrecker erhob. Mertel war es, der in der dramatischen Nacht vom 13. Juli 1881 die Überführung des Leichnams von Pius IX.
aus dem Vatikan in die Basilika San Lorenzo leitete, während eine aufgebrachte Menge den Sarg in den Tiber stürzen wollte.

Eine der glanzvollsten Stunden erlebte der Kardinal bei der Wahl Leo XIII. zum Papst: Der Sohn des Bäckers aus Eglfing krönte in der großen Zeremonie in der Sixtinischen Kapelle das neue Kirchenoberhaupt mit der Tiara. Auch unter dem neuen Papst blieb Mertel der maßgebliche Jurist an der Kurie. Seine «Decisiones» - eine Sammlung von Rechtsentscheiden - gingen zu großen Teilen in den späteren Kodex des Kirchenrechts ein.

Aber das erlebte Mertel schon nicht mehr. Im Sommer 1899 reiste er noch einmal in sein geliebtes Allumiere, dessen Geschichte er in seiner Freizeit erforscht und in einer nie veröffentlichten Historie niedergeschrieben hatte. Dort starb er am 11. Juli 1899, mit 93 Jahren ältestes Mitglied des Kardinalskollegiums. Sogar die «New York Times» nahm tags darauf Notiz vom Tod des Kardinals, «der nie zum Priester geweiht wurde».