Vor 125 Jahren wurde die Ordensgründerin Anna Dengel geboren

Feminismus auf katholisch

Anna Dengel wurde früh mit dem Tod der eigenen Mutter konfrontiert. Sie gründete einen Orden, der sich um die medizinische Versorgung von Frauen in den Ländern des Südens kümmerte. Eine der Schülerinnen: Mutter Teresa.

Anna Dengel in Kalkutta / © n.n. (KNA)
Anna Dengel in Kalkutta / © n.n. ( KNA )

Hilfe von Frauen für Frauen in den Ländern des Südens, auf professionelle Weise, getragen von einer Haltung des Glaubens: Diesen sehr modern anmutenden Ansatz verfolgte Anna Dengel bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Die österreichische Ärztin gründete dazu die "Medical Mission Sisters" (MMS), die im Deutschen "Missionsärztliche Schwestern" heißen. Vor 125 Jahren, am 16. März 1892, wurde sie geboren.

Einfach war der Weg bis zur Ordensgründung nicht, aber Dengel muss eine außergewöhnliche Frau gewesen sein: begabt, belastbar, sozial engagiert und mit einer Biografie, die auch für heutige Verhältnisse nicht alltäglich ist. Ihr Berufsziel stand schon früh fest: Sie wollte als Missionsärztin nach Indien gehen, um vor allem den Frauen zu helfen. Dabei war die Müttersterblichkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Europa noch hoch.

Früher Tod der Mutter

Anna Dengel hatte es in ihrer eigenen Familie erlebt. Geboren in Steeg im Lechtal/Tirol war sie erst neun Jahre alt, als ihre Mutter starb. Sie war das älteste von fünf Kindern, vier weitere kamen aus der zweiten Ehe des Vaters dazu. Allerdings kam sie auch aus einer wohlhabenden Familie, zudem legte ihr Vater großen Wert auf Bildung für seine Kinder.

Eher zufällig bekam Dengel Kontakt zu Agnes McLaren. Die schottische Frauenrechtlerin suchte Ärztinnen für die medizinische Versorgung von Frauen und Kindern in Nord-Indien und war auch bereit, jungen Frauen ein Medizinstudium zu ermöglichen. Zu einem persönlichen Kennenlernen der beiden Frauen kam es nicht mehr. McLaren starb 1913, aber Anna Dengel hatte jetzt einen Ansatz, den sie weiter verfolgte. Weil sie für Indien einen britischen Universitätsabschluss brauchte, ging sie

1914 nach Irland und studierte an der Cork University. Nach ihrer Promotion und einem praktischen Jahr in England war es soweit: 1920 reiste die frischgebackene Ärztin nach Rawalpindi im heutigen Pakistan und übernahm die medizinische Leitung eines Hospitals.

Helfen, aber wo?

Zu dieser Zeit gab es in Indien kaum Ärztinnen, und das hatte verheerende Folgen für die Frauen. Religiöse Traditionen verboten ihre Behandlung durch männliche Ärzte, die Frauen- und Kindersterblichkeit war entsprechend hoch. Dengel war die einzige Ärztin weit und breit. Aber nach vier Jahren exzessiver Arbeit war sie mit ihren Kräften am Ende. Sie fand eine indische Ärztin, die ihre Arbeit übernahm und fuhr zurück nach Österreich. Die junge Frau steckte in einem Dilemma: Am liebsten wäre sie einem Orden beigetreten, aber dann hätte sie ihre Arbeit als Ärztin aufgeben müssen - Ordensfrauen durften sich nicht auf dem Gebiet der Chirurgie und Geburtshilfe betätigen.

Der Jesuit, bei dem sie Exerzitien machte, fand die Lösung: "Gründen Sie eine eigene Gemeinschaft." Dengel folgte dem Rat und ging dazu in die USA, denn im verarmten Europa sah sie keine Möglichkeit für ihr Vorhaben. Hier knüpfte sie Kontakte, fand Weggefährtinnen und Unterstützung durch engagierte Priester. 1925 genehmigte der Bischof von Baltimore eine von ihr verfasste Konstitution. Aus Anna Dengel, zwei weiteren Ärztinnen und einer Krankenschwester wurden die "Medical Mission Sisters". Die waren vorläufig eine "Pia Societas", eine fromme Gemeinschaft, denn das Medizinverbot für Ordensleute bestand ja weiterhin, galt inzwischen aber als veraltet. 1936 wurde es aufgehoben, vier Jahre später legten die Schwestern ihre Ewigen Gelübde ab.

Die Gemeinschaft wuchs rasch, aktuell gehören über 500 Schwestern weltweit dem Orden an. In Deutschland sind die Missionsärztlichen Schwestern seit 1962 präsent. Mutter Anna, wie die Gründerin von ihren Mitschwestern genannt wurde, hatte schon immer eine Aufgabe des Ordens darin gesehen, durch die medizinische Versorgung auch gesellschaftliche Strukturen zu verändern. Langfristig sollten Einheimische die Krankenhäuser übernehmen, was in vielen Fällen gelungen ist.

Weltbekannte Schülerin

Ein Beispiel für diese "Ordenspolitik" ist das Krankenhaus in Attat/Äthiopien, das 1969 als letzte Gründung dazukam. Die ärztliche Leitung liegt heute in Händen der deutschen Gynäkologin Schwester Rita Schiffer. Die anderen Ärzte, darunter zwei Frauen, sind Äthiopier. Acht missionsärztliche Schwestern aus fünf Nationen arbeiten hier, die meisten Afrikanerinnen. In den Krankenhäusern legen die Schwestern einen Schwerpunkt auf die Ausbildung von medizinischem Personal und Krankenschwestern. Eine dieser Schülerinnen wurde später weltbekannt - Mutter Teresa.

Die Aufbruchstimmung des 2. Vatikanischen Konzils schlug sich auch auf den Orden nieder, die Frage der Nachhaltigkeit rückte zunehmend in den Vordergrund. Gerechtigkeit, Prävention, strukturelle Ursachenforschung und Teilhabe hatten schon immer im Fokus von Anna Dengel gestanden, wurden nun aber immer wichtiger. Dazu kamen tiefgreifende Veränderungen in der Ordensstruktur. Für Dengel waren sie anfangs nicht leicht anzunehmen, aber mit der Zeit lernte sie loszulassen. "Die Zukunft gehört Euch" sagte sie dazu. "Ihr wisst um die Nöte der heutigen Zeit ebenso wie ich um die Nöte meiner Zeit wusste."

Abschied

1967 wählte die Gemeinschaft Schwester Jane Gates aus den USA zur Nachfolgerin der Ordensgründerin. Dengel war, mit Ausnahme einer kurzen Zeit als Ärztin in Indien, in den USA geblieben. Von dort aus trieb sie den Ausbau des Ordens voran und siedelte 1957, zusammen mit dem Generalat, nach Rom über. Während ihrer letzten Lebensjahre war sie nach einem Schlaganfall pflegebedürftig. Am 17. April 1980 starb Anna Dengel in Rom - eine Frau, die ihrer Zeit lange voraus gewesen war.


Quelle:
KNA