Vor 125 Jahren wurde der Architekt Rudolf Schwarz geboren

Eigenbrötler und schwärmerischer Visionär

Zunächst wurden sie als "unwürdig" für Kirchenbauten angesehen. Doch dann ermöglichten neue Werkstoffe im 20. Jahrhundert ein "Neues Bauen" in völlig neuen Gestaltungsformen.

Kardinal Julius Döpfner (r.), Erzbischof von München und Freising, und Josef Henselmann, Präsident der bayerischen Kunstakademie, betrachten ein Foto in der Ausstellung zum Werk des Architekten Rudolf Schwarz in der Akademie der bildenden Künste in München im Juli 1964.  (KNA)
Kardinal Julius Döpfner (r.), Erzbischof von München und Freising, und Josef Henselmann, Präsident der bayerischen Kunstakademie, betrachten ein Foto in der Ausstellung zum Werk des Architekten Rudolf Schwarz in der Akademie der bildenden Künste in München im Juli 1964. / ( KNA )
Porträt des Architekten Rudolf Schwarz (KNA)
Porträt des Architekten Rudolf Schwarz / ( KNA )

Sie waren dem Zweiten Vatikanischen Konzil um Jahrzehnte voraus. Seit Ende des 19. Jahrhunderts und verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg entwickelten die Protagonisten der "Liturgischen Bewegung" auf ihrer spirituellen Sinnsuche neue Konzepte einer Gemeindekirche: Das Kirchenvolk gruppiert sich um den Altar und feiert gemeinsam. Einer der bedeutendsten Vertreter dieser Bewegung war der Architekt Rudolf Schwarz, mit Dominikus Böhm (1880-1955) einer der Erneuerer des Kirchenbaus im Deutschland. Vor 125 Jahren, am 15. Mai 1897, wurde er in Straßburg geboren.

Der Säkularisierung entgegen

Von "Wirkräumen des Heiligen" sprach Schwarz; von "Bildern des Ewigen", wenn er über seine eigenwilligen, innovativen Entwürfe dozierte: die eiförmigen, schiffsrumpfartigen, die t-förmigen und kastigen. Immer war sein Ziel eine "volle, bewusste und tätige" Teilnahme der Gemeinde an der Feier der Liturgie.

Folgen konnte seiner mystischen, weihevollen Sprache nur, wer wie Schwarz selbst zutiefst im christlichen Glauben und seinen Symbolen verwurzelt war. Wer ihm nicht folgen wollte, dem bot er mit seiner "schwärmerischen Selbstinterpretation" - so der Nachruf der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" 1961 - eine breite Fläche für Hänseleien. Mit seiner offenkundigen Weigerung, der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft ins Auge zu sehen, machte er sich angreifbar.

Frankfurter Paulskirche / © Bert Bostelmann (KNA)
Frankfurter Paulskirche / © Bert Bostelmann ( KNA )

Rudolf Schwarz studierte in Berlin Architektur. Nach dem Schock des Ersten Weltkriegs belegte er in Bonn ein Jahr Theologie, bevor ihn Hans Poelzig als Meisterschüler zurück nach Berlin holte. In dieser Zeit war Schwarz intensiv in der Jugendbewegung "Quickborn" engagiert, pflegte Kontakt zu Romano Guardini und Ludwig Mies van der Rohe, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband.

Mehr als 50 Bauten im Erzbistum Köln

Neue Werkstoffe, die zunächst als für Sakralbauten "unwürdig" angesehen wurden, ermöglichten ein "Neues Bauen" in völlig neuen Gestaltungsformen. Erste avantgardistische Schöpfungen spalteten auch die Kirchenleitung. In seiner Silvesterpredigt 1929 wetterte etwa der Münchner Kardinal Michael Faulhaber gegen den Bau von Kirchen, die auch "eine Sperrfestung im Tessinertal" sein könnten.

Liturgische Bewegung

Die "Liturgische Bewegung" war eine Rückbesinnung auf die gottesdienstlichen Traditionen der lateinischen Kirche. Zugleich ging es um eine Erneuerung des Einzelnen und der kirchlichen Gemeinschaft von innen her. Die Wurzeln der Liturgischen Bewegung liegen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Benediktinerabteien Solesmes, Beuron und Maria Laach.

Abteikirche Maria Laach in der Abendsonne / © Peter; Mathias (DR)
Abteikirche Maria Laach in der Abendsonne / © Peter; Mathias ( DR )

In diesem innerkirchlichen Klima wurde Schwarz, gerade 31 Jahre alt, mit dem Bau der Fronleichnamskirche in Aachen beauftragt. Er schuf einen kastigen, ungewöhnlich hohen Raum mit einer Altarinsel. Jede bauliche Trennung zwischen Priester und Gottesdienstteilnehmern wurde in diesem kompromisslos kargen, gekälkten, fast leer anmutenden Gotteshaus aufgehoben. Schwarz brach in der Fronleichnamskirche mit den hergebrachten kirchlichen Lebensgewohnheiten, gemäß seinem Credo: "den lebendigen Raum" müsse "die Gemeinde durch ihre Versammlung erschaffen".

Nach der Zerstörung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg war die Stunde der einstigen Avantgarde gekommen: Allein im Erzbistum Köln wurden unter dem zupackenden Kardinal Josef Frings zwischen 1950 und 1955 etwa 320 Kirchen neu oder wiederaufgebaut. Schwarz steuerte mehr als 50 davon bei, dazu bedeutsame Restaurierungen wie die der Frankfurter Paulskirche, des Kölner Gürzenich oder des Wallraf-Richartz-Museums.

"Mehr als ästhetisches Vergnügen"

Eine ebenso große Leistung für die Nachwelt stellt seine Arbeit als Generalplaner der Stadt Köln dar (1946-1952). Aus den Schuttbergen der kriegszerstörten "Massensiedlung" schälte er mit archäologischem Gespür die Gestalt der alten Siedlungskerne; ja er wollte das neue Köln quasi um seine mittelalterlichen Pfarrkirchen herum neu ansiedeln: im Zwiegespräch durch die Jahrhunderte, freilich mit moderner Architektur - denn "Alt-Nürnberg" war sein Fall nicht. Mit der Bändigung der Reißbrett-Technokraten und der Prediger der Stadtautobahnen hat sich der "rheinische Mystiker" Verdienste erworben.

Am 3. April 1961 erlag Schwarz in Köln einem Herzinfarkt. Rückblickend schrieb er eine Woche vor seinem Tod mit 63 Jahren, die Arbeit des Architekten sei für ihn "mehr als nur ein ästhetisches Vergnügen". Er wies ihr eine viel bedeutendere Aufgabe zu, wenn er meinte: Der Baumeister "erneuert die Schöpfung". Doch hier verkannte der eigensinnige Idealist die Schnelllebigkeit der Postmoderne. 2005 wurde Schwarz' einziger Kirchenbau in Berlin abgerissen, die Pfarrkirche Sankt Raphael in Gatow. Ein Unikum, fertiggestellt posthum 1965.