Vor 125 Jahren übernahm Gaudi Bauleitung der Sagrada Familia

Der mystische Architekt

Sein Hauptwerk ist bis heute unvollendet. Ein Vierteljahrhundert wird es wohl noch dauern. Immerhin: Frühestens 2010 soll in der "Sagrada Familia" in Barcelona erstmals ein Gottesdienst stattfinden können.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Der Kathedrale, bereits heute das Wahrzeichen der katalanischen Metropole, hat Stararchitekt Antoni Gaudi mehr als sein halbes Leben gewidmet. Vor 125 Jahren, am 3. November 1883, übernahm er die Leitung der Bauhütte. "Gaudis gespenstische und herrliche Bauwerke dokumentieren (...) den Ehrgeiz eines Mannes, als einzelner zu leisten, was nur Generationen zu leisten vermögen: eine ganze Kultur zu erschaffen", so fasste die Schriftstellerin Susan Sonntag das innovative Schaffen des Künstlers zusammen. Allerdings wurde der eigensinnige Architekt schon zu Lebzeiten verehrt und verspottet, bewundert und verhöhnt.

Antoni kam am 25. Juni 1852 als fünftes und letztes Kind eines Kupferschmieds in Reus bei Taragona zur Welt. Schon mit 15 Jahren veröffentlichte er erste Zeichnungen und zeigte Begeisterung für das idealisierte Mittelalter, wie es die Romantik entwarf. Zwei Jahre später zog er zum Architekturstudium nach Barcelona. Der Direktor des dortigen Instituts sollte nicht der einzige bleiben, der bei Gaudi die sprichwörtliche Nähe von Genie und Wahnsinn konstatierte.

Bei allem Boheme-Leben blieb Gaudi stets seiner Herkunft aus dem Volk treu. Er wandte sich sogar der Kehrseite der industriellen Entwicklung, dem neu entstehenden Proletariat, zu und sympathisierte vorübergehend mit dem utopischen Sozialismus. Niederschlag fand dies in seinem Entwurf zu einer Arbeitersiedlung. Später suchte er dann, aus dem Christentum heraus eine Antwort auf die soziale Frage der Moderne zu entwickeln.

Öffentliche Anerkennung blieb Gaudi versagt
Öffentliche Anerkennung blieb ihm versagt. Für Gaudi nährte dies immer wieder Zweifel an seiner Arbeit. Dafür säumten Mäzene seinen Lebensweg und überhäuften ihn mit Aufträgen. So entstanden jene kühnen Gebäude, die Betrachter noch heute entweder in ihren Bann schlagen oder aber als Kitsch und Zuckerbäckerstil verworfen werden. Die Casa Vicens in maurischem Stil, das Herrenhaus El Capricho oder der Palacio Güell bis hin zu den einzigartigen Entwürfen der beiden Pavillons am Eingang des Park Güell sind noch heute eine heilige Stätte für Architekturpilger.

Die Krönung seines Lebenswerkes aber sollte die Sagrada Familia werden. Der Entwurf geriet allerdings so gewagt, dass bis heute an dem Bau gearbeitet wird. Sollte er einmal vollendet sein, wird ein Mittelturm über dem Hauptaltar das dann 18-türmige Bauwerk krönen. Mit 170 Metern wird er die bereits vorhandenen Glockentürme um 70 Meter überragen.

Schon mit 31 Jahren hatte Gaudi die Bauleitung übernommen. Die Sagrada Familia sollte als Sühnekirche entstehen und nur durch Spendenmittel finanziert werden. Der Architekt ging schließlich selbst mit dem Hut durch die Straßen. Wachsende Kosten zögerten die Fertigstellung immer weiter hinaus. Entscheidender aber war, dass Gaudi während der Konstruktion immer neue Ideen entwickelte. Etwa an den Glockentürmen: Zunächst rechteckig entworfen, schrauben sie sich in etwa 30 Meter Höhe verdreht nach oben und entwinden sich damit zugleich dem gotischen Vorbild des Spitzturms. Die mit vielfarbigen Mosaiken verzierten Abschlussknaufe zeigen in ihren originellen Formen die wortwörtlich blühende Fantasie des ungewöhnlichen Künstlers.

"Bauwerk in den Händen Gottes"
Im Alter zog sich Gaudi aus der Öffentlichkeit zurück und widmete sich in mystischer Einsamkeit ganz der Vollendung "seiner" Kathedrale. Als er am Nachmittag des 7. Juni 1926 im Zentrum Barcelonas von einer Straßenbahn angefahren wurde, blieb er zunächst unerkannt. In seinen ausgebeulten Taschen fand man lediglich eine Handvoll Rosinen und Erdnüsse sowie eine zerknitterte Ausgabe des Evangeliums. Erst einen Tag später identifizierte ein Geistlicher den Sterbenden, den man ins Armenhospital der Stadt gebracht hatte. Zur Beisetzung in der Krypta der Sagrada Familia, der "Heiligen Familie", erschien dann die ganze Stadt.

In der Sagrada Familia zeigt sich die ganze Entwicklung von Gaudis stilistischen Eigenheiten - und seiner eigenen Persönlichkeit. Denn aus dem utopischen Sozialisten und Glaubensskeptiker war inzwischen ein tiefer Verehrer christlicher Mystik geworden.

Im Mittelpunkt der Konzeption steht die Vorstellung von der Kirche als mystischem Leib Christi. Entsprechend soll der - noch zu bauende
- Mittelturm über dem Hauptaltar auf Christus selbst hinweisen, während die jeweils vier Türme an den drei Fassaden die Apostel stellvertretend für das Gottesvolk symbolisieren. Die Fassaden selbst widmen sich dem Wirken Jesu Christi: Leben, Tod und Auferstehung. Die Kirche ist nicht nur ein in Stein gehauenes Evangelium, sondern auch ein Spiegel von Gaudis Glauben selbst - und das sogar in ihrer Unvollendetheit: "Es handelt sich um ein Bauwerk, das in den Händen Gottes und im Willen des Volkes liegt", hatte der Künstler selbst immer wieder betont. Im Jahr 2000 wurde offiziell ein Seligsprechungsverfahren für Antoni Gaudi eröffnet.