Vor 100 Jahren wurde Max Frisch geboren

"Weiß ich es denn selbst, wer ich bin?"

Am 4. April 1991 starb Max Frisch an Darmkrebs. Was von ihm bleibt, sind einige Romane, die zum Kanon der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts gehören, einige Theaterstücke, die weiter gespielt werden - sowie die Züricher Freibadanlage Letzigraben.

Autor/in:
Peter W. Kohl
 (DR)

1949 fertiggestellt, zeugt sie davon, dass Max Frisch, der Sohn eines Architekten, selbst auch ein Baumeister war. Mit seinem 1942 gegründeten Architekturbüro hatte er sogleich diesen Großauftrag an Land gezogen. Es blieb freilich seine einzige architektonische Großtat, stärker war der Sog der Literatur. Schon in den 30er Jahren hatte er nach dem Germanistik-Studium Reiseberichte für die "Neue Zürcher Zeitung" verfasst. Diese Reiseerfahrungen schlugen sich auch nieder in seinem ersten, fast vergessenen Roman "Jürg Reinhart. Eine sommerliche Schicksalsfahrt" (1934), in dem er die Problematik der Sterbehilfe streift.



"Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält", sagt die Hauptperson des Romans "Mein Name sei Gantenbein" (1964). Max Frisch spielt darin die Hauptthemen seines Schaffens durch: das Problem der Identität, die Spannung zwischen Ich und Nicht-Ich, das Unvermögen, mit der Sprache die komplexe Realität zu erfassen. Vor hundert Jahren, am 15. Mai 1911 wurde Max Frisch in Zürich geboren.



Dem Suhrkamp-Verlag treu

Während des 1936 begonnenen Architekturstudiums verbrannte er voller Selbstzweifel an seiner literarischen Berufung bisher nicht publizierte Arbeiten. Doch der Schwur, nie mehr zu schreiben, hielt nicht lange. Frisch begann, intensiv Tagebuch zu führen und entwickelte daraus eine eigene literarische Kunstform. Die Extrakte aus seinen Tagebüchern, wie etwa das "Tagebuch 1946-1949", mit dem Peter Suhrkamp 1950 sein eigenes Verlagsprogramm eröffnete, sind mit ihrer Fülle an Gedanken, Einfällen, Reflexionen und prägnant erzählten Erlebnisse integraler Bestandteil seines Werks.



Dem Suhrkamp-Verlag blieb er danach treu, dort erschien 1954 sein Roman "Stiller", der seinen endgültigen Durchbruch als Romancier markiert. Es ist die Geschichte der missglückten Selbstfindung eines Bildhauers, der künstlerisch und im privaten Bereich gescheitert, in eine neue Identität zu schlüpfen versucht. Die Story korrespondierte ganz offenbar mit dem privaten Erleben des Autors, der 1954 seine Familie verlassen und kurz darauf sein Architekturbüro geschlossen hatte.



Die Tagebuchform stand auch Pate bei seinem nächsten, 1957 publizierten Roman "Homo Faber", in der ein Ingenieur, der alles für mach- und berechenbar hält, nach einer Liebesaffäre mit seiner eigenen, ihm bislang unbekannten Tochter, die bei einem Unfall stirbt, vor den Trümmern seines wohlgeordneten Weltbildes und seiner scheinbar erfolgreichen Existenz steht. Der Roman, der von Volker Schlöndorff verfilmt wurde, gehört längst zur Schullektüre wie auch die beiden bekanntesten Theaterstücke von Frisch "Biedermann und Brandstifter" (1958) und "Andorra" (1961). Es sind Lehrstücke, die den Einfluss von Bertolt Brecht verraten, mit dem Frisch in dessen Züricher Zeit nähere Bekanntschaft machte.



Privates und Politische gingen Hand in Hand

Frisch, der zu Beginn der 60er Jahre drei Jahre lang in Rom in einer spannungsvollen Beziehung mit der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann lebte, begegnete 1962 der jungen Germanistikstudentin Marianne Oellers, die er 1968 heiratete. Die Ehe wurde 1979 geschieden, nachdem der notorisch untreue Frisch in seiner autobiografischen Erzählung "Montauk" (1975) die Liebesaffäre mit einer jungen US-Amerikanerin ausgebreitet hatte. Privates, ja selbst Intimes und das Politische gingen bei Frisch Hand in Hand. Frisch, der über viele Jahre hinweg an wechselnden Orten im Ausland lebte, machte sich in der Schweiz als linker Kritiker der schweizerischen Selbstgenügsamkeit und der Schweizer Armee nicht nur Freunde.



In seinen letzten Arbeiten ging es verstärkt um Alter, Krankheit und Vergänglichkeit. Die Trauerfeier für Frisch fand auf ausdrücklichen Wunsch des bekennenden Agnostikers in einem Gotteshaus statt, der Kirche St. Peter in Zürich, aber ohne die Gegenwart eines Geistlichen. Anlässlich seines 100. Geburtstags sind mehrere Biografien erschienen, die die Frage zu beantworten versuchen, wer er war, dieser Max Frisch, der seinen Anti-Helden Stiller fragen lässt: "Weiß ich es denn selbst, wer ich bin?"