Vor 100 Jahren wurde die Ordensfrau Imma Mack geboren

Mit Rad und Schlitten zur Versorgung von KZ-Häftlingen

Eine blutjunge angehende Nonne entdeckt die katastrophalen Zustände in einem KZ und wird aktiv. Ein Blick auf eine bescheidene Heldin, die Tiefschnee und drohender Todesstrafe trotzte und ihre christlichen Werte nicht vergaß.

Autor/in:
Clara Engelien
Wachtturm an der Gedenkstätte Dachau / © Avantgarde Design (shutterstock)
Wachtturm an der Gedenkstätte Dachau / © Avantgarde Design ( shutterstock )

Gerade einmal 20 Jahre jung ist Josefa Mack, später Schwester Maria Imma, als sie 1944 zum ersten Mal ins Konzentrationslager Dachau fährt. Ihr Auftrag: für das Kloster des Ordens der Armen Schulschwestern in München-Freising Blumen in der Verkaufsstelle einer Lagergärtnerei von KZ-Häftlingen einzukaufen.

Noch weiß sie nicht, dass sich ihr mit dieser ersten Fahrt eine Aufgabe stellt, die sie sich nicht einmal im Traum hätte ausmalen können, wie sie gute 40 Jahre später schreiben wird: "Ich durfte vielen Häftlingen im KZ Dachau, von dem ich bis dahin kaum eine Ahnung hatte, unter großen Schwierigkeiten und Gefahren ein wenig Trost und Hilfe bringen.2 So erinnert sich Schwester Maria Imma in den späten 1980ern in ihren Memoiren "Warum ich Azaleen liebe2.

Ihre Erlebnisse, um die sie bis zu ihrem Tod wenig Aufhebens machte, schrieb sie auf Aufforderung des Münchner Kardinals Friedrich Wetter nieder. Häftlinge auf der Plantage hatten ihr als Gruß für ihre Mutter Azaleen geschenkt, bevor sie in den Ferien nach Hause fuhr.

Erstkommunion im Jahr der Machtergreifung

Geboren wird die spätere Ordensfrau der Kongregation der Armen Schulschwestern am 10. Februar 1924 in einem bayerischen Dorf zwischen Eichstätt und Ingolstadt. Der Vater ist Zimmermann, die Mutter Hausfrau. Die neunjährige Josefa feiert ihre Erstkommunion 1933, im Jahr der Machtergreifung Hitlers. Auf einem Schwarz-Weiß-Bild ist sie in edlem weißem Spitzenkleid zu sehen, mit weißem Blumenkranz um den Kopf und einer großen dekorierten Kerze in der Hand; schmunzelnd und mit wachem Blick schaut sie in die Kamera.

Als Drittklässlerin muss Mack mit ihrer Schulklasse einer Hitlerrede im Rundfunk lauschen. Der "schreienden, sich überschlagenden Stimme zuhören zu müssen", sei für sie ein Alptraum gewesen. Und eine einzige Begegnung mit einer jüdischen Person - der freundlichen Betreiberin des Eichstätter Kaufhauses Guttentag - ist es, weshalb sie "das grausame Leid, das in der Hitlerzeit über die Juden hereinbrach", so getroffen habe.

Zu der Zeit ihres ersten Besuchs im KZ Dachau arbeitet Mack als Helferin im Kinderheim des Ordens in Freising, lebt bereits als Klosterkandidatin in Sankt Klara. Ein im Kloster bekannter Brunnenbauer kommt eines Tages zu Besuch und berichtet von den Häftlingen, mit denen er zusammenarbeitet und dem die Klosterschwestern schon länger Brot für diese mitgeben. Eine Oberin des Klosters beauftragt sie, gemeinsam mit ihm ins KZ zu fahren, um Gemüse und Blumen für das Kloster zu holen.

Ein Haufen alter Schuhe

An den Maitag ihres ersten Besuchs erinnert sich Mack auch Jahrzehnte später noch im Detail. Über die "Straße der SS" mit Villen der SS-Führungskräfte, reich geschmückt mit Blumen der Plantage, führt ihr Weg weiter auf einem holprigen Fußweg an den Baracken der Häftlinge vorbei. Der erste Schock widerfährt der jungen Frau, als sie dort einen riesigen Haufen alter Schuhe erblickt und ihr ein "furchtbarer Gestank" in die Nase steigt. Der zweite, als sie kurz darauf an Hunderten von kahlgeschorenen Männern in zebragestreifter Lagerkluft beim Zählappell vorbeikommt. "Alle starrten uns an, als wären wir Wesen aus einer anderen Welt" - ein Anblick, den sie nie vergessen wird.

In einem kleinen Büro, der Verkaufsstelle der von den Häftlingen angepflanzten Blumen und Nutzpflanzen, trifft das junge Mädchen auf einen jungen Priesterhäftling. Zunächst misstrauisch und unfreundlich, fasst Ferdinand Schönwälder Vertrauen zu ihr, als er ihre guten Absichten erkennt. Er berichtet ihr vom Hunger, den Strafen und der allgemeinen Not im Lager und bittet sie, wiederzukommen und Hostien und Messwein mitzubringen, damit polnische Priesterkameraden heimlich die Messe zelebrieren können. Und tauft sie "Mädi" - ein Deckname zu ihrem eigenen Schutz.

Von ihren Eindrücken mitgenommen, schreibt Mack später, "wie eine Traumwandlerin" sei sie durch die nächsten Tage gegangen. Die Schwestern im Kloster teilen ihr Erschrecken und ihre Trauer und bestärken sie darin, ihre geheime Hilfsaktion fortzusetzen.

Wöchentlich ins KZ

Im Laufe des kommenden Jahres - bis zur Befreiung des KZ durch die amerikanische Armee Ende April 1945 - fährt die angehende Klosterschwester meist wöchentlich ins KZ. Nachdem wegen eines Bombenalarms einmal ihre Zugstrecke unterbrochen ist, beschließt sie, von nun an einen Großteil der Strecke mit dem Fahrrad zu fahren. In dieser Zeit versorgt sie inhaftierte Priester mit Kirchendingen und Lebensmitteln. Als Typhus im Lager ausbricht, schwärmen auf "Mädis" Geheiß hin die Schwestern des Klosters aus, um Medikamente zu kaufen. Ab diesem Tag schmuggelt sie regelmäßig auch diese ins KZ.

Als Anfang 1945, in besonders eisigen Wintermonaten, hoher Schnee liegt und Josefa Mack sich nicht mit dem Rad fortbewegen kann, legt sie den Weg vom Zug zum KZ kurzerhand mit dem Schlitten zurück. Im Verlauf des Winters hilft sie auch dabei, dass zwei Häftlinge im Geheimen zu Priestern geweiht werden können, indem sie die benötigten Kirchenformulare und liturgischen Geräte organisiert. Wichtig ist ihre Rolle zudem als Überbringerin von Briefen der Häftlinge - obwohl sie sich im Klaren ist, dass auf deren Beförderung aus dem Lager und hinein die Todesstrafe steht.

Was motiviert eine junge Frau zu solchen Aktionen, trotz Gefahr für ihr eigenes Leben? Als Kind habe sie Märtyrerlegenden aus den frühchristlichen Jahrhunderten verschlungen und sei besonders beeindruckt gewesen von der gegenseitigen Hilfe dieser Christen, die "keine Rücksichtnahme auf sich selbst kannten". Doch auch ihr Elternhaus trägt zu ihrer politischen Einstellung bei. Als Zehnjährige lauscht sie abends hellwach den elterlichen besorgten und kritischen Unterhaltungen, nachdem der Vater die Zeitung gelesen hat.

Großes Mitgefühl

Die 1988 erschienenen Erinnerungen der Ordensschwester zeugen nicht nur von großem Mitgefühl für das Leid der KZ-Insassen. Sie zeichnen das Bild eines mutigen und zugleich sensiblen Mädchens, das sich - anders als der Großteil der deutschen Bevölkerung - direkt angesprochen fühlt, als es von der Unterdrückung und Ermordung ihrer Mitmenschen erfährt. Ihre Anteilnahme und Sympathie gegenüber den Häftlingen beruht auf Gegenseitigkeit. Dem verleihen sie Ausdruck durch kleine Geschenke, etwa mit einem "liebevoll gebundenen Adventskränzlein".

1986 bekam Schwester Maria Imma Mack den Bayerischen Verdienstorden. 2004 wurde die Ordensfrau "für ihren Mut und für ihr Engagement im Dienste des Friedens und der Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich" als Ritterin in die französische Ehrenlegion aufgenommen. Unter den Häftlingen, denen sie geholfen hatte, waren viele französische gewesen. Es folgten das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und das Ehrenkreuz Pro Ecclesia et Pontifice.

Kein Grund für die Schwester, überheblich zu werden. Auf der Internetseite der Armen Schulschwestern schreiben diese: "Doch wer sie noch kennenlernen durfte, der erlebte eine einfache, liebenswürdige und lebensfrohe Ordensfrau, die ihr Leben lang fürMenschen ein offenes Herz und offene Ohren hatte." Am 21. Juni 2006  starb sie nach längerer Krankheit im Kloster in München.

Quelle:
KNA