Vor 100 Jahren wurde der Dramatiker Eugene Ionesco geboren

Kreativer Kämpfer gegen Intoleranz und Gewalt

Immer noch stehen sie hier Schlange. Auch fast 60 Jahre, nachdem das "Theatre de la Huchette" im Pariser Innenstadtviertel Quartier Latin erstmals ein Stück von Eugene Ionesco aufführte, findet der französische Dramatiker mit rumänischen Wurzeln sein Publikum. Vor 100 Jahren, am 26. November 1909, erblickte der Meister des absurden Theaters im Süden Rumäniens das Licht der Welt.

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

Inzwischen hat es eines seiner Werke - «Die kahle Sängerin» («La Cantatrice Chauve») - sogar auf sage und schreibe über 16.000 Aufführungen in dem winzigen Saal gebracht.

Die Karriere als Autor von Weltruf war dem Sohn eines Juristen nicht gerade in die Wiege gelegt. Schon wenige Jahre nach seiner Geburt ließen sich die Eltern scheiden. Die Mutter kehrte in ihre französische Heimat zurück, wo Eugene zunächst aufwuchs. Es folgten, nach dem Ersten Weltkrieg, Jahre des Pendelns zwischen Frankreich und Rumänien. Zeitweilig schien es, als sei der angehende Universitätsdozent ständig auf der Flucht: vor sich selbst, vielfältigen beruflichen und privaten Zwängen und nicht zuletzt den unruhigen Zeitläuften am Vorabend des Zweiten Weltkriegs.

Gut möglich, dass in dem Aufkommen von Faschismus und Diktatur der Grundstein für Ionescos literarisches Schaffen liegt. Doch Letzteres sollte erst nach Kriegsende Gestalt annehmen. Den Anfang machte das bereits erwähnte Kammerspiel «La Cantatrice Chauve» über ein ins Groteske abdriftendes Zusammentreffen zweier englischer Ehepaare.
Die aberwitzige Abfolge von scheinbar sinnlosen Dialogen ließ den inzwischen 40-Jährigen zu einem Geheimtipp unter Kritikern werden.

Den endgültigen Durchbruch schaffte Ionesco 1957/59 mit einem
Doppelschlag: der Erzählung und dem gleichnamigen Theaterstück «Rhinoceros» («Die Nashörner»). Im Mittelpunkt beider Werke steht die unheimliche Verwandlung von Menschen in eine Herde blindwütiger Dickhäuter. Während die grauen Giganten die Macht in den Straßen der Stadt übernehmen, ergehen sich die Überlebenden in sinnlosen Diskussionen darüber, ob es sich bei den Tieren um afrikanische oder asiatische Nashörner handelt. Am Ende droht auch die Hauptfigur in der immer größer werdenden Masse aufzugehen, widersteht aber schlussendlich der Versuchung.

Mit der Premiere des Stückes hielt zugleich das Absurde Einzug in die Realität. Die Erstaufführung sorgte für Schlagzeilen, fand sie doch nicht in Ionescos französischer Wahlheimat statt, sondern am 31. Oktober 1959 in Düsseldorf. Die Besucher glaubten, in dem Stoff eine Anspielung auf die deutsche Nazi-Vergangenheit zu erkennen, was Ionesco selbst eher irritierte. «Am erstaunlichsten war, dass sich das Premierenpublikum ganz überwiegend aus Großindustriellen zusammensetzte, die nicht davor zurückgeschreckt waren, das Hitler-Regime zu finanzieren», gestand er Jahre später einmal in einem Interview. Selbst von der Schwester des NS-Außenministers Joachim von Ribbentrop habe er Komplimente erhalten.

Ob die Nashörner nun für die Nazis standen, den autoritären Kurs des damaligen französischen Präsidenten Charles de Gaulle oder gar die aufkommenden Militärdiktaturen Lateinamerikas ins Visier nahmen, ließ der Autor offen. «Wie sollte ich all diesen Leuten erklären, dass ihre Hintergedanken nicht die meinen sind?», fragte er halb verzweifelt. Solange es der Verbreitung seiner Werke diente, ließ er sich die meisten Deutungsversuche gefallen.

In den 60er und 70er Jahren entstanden weitere Stücke und ein Roman, bevor sich Ionesco, hoch geehrt und inzwischen Mitglied der berühmten Academie Francaise, mehr und mehr auf kürzere literarische Formen beschränkte. Am 28. März 1994 starb er 84-jährig in Paris. Jener Stadt, in der nicht zuletzt das Theatre de la Huchette an den kreativen Kämpfer gegen Intoleranz und Gewalt erinnert. Was wohl der Autor selbst dazu sagen würde? Vielleicht dieses: «Ein großer Erfolg in einem kleinen Theater ist besser als ein kleiner Erfolg in einem großen Theater und allemal mehr wert, als ein kleiner Erfolg in einem kleinen Theater.»