George Orwells Satire "Animal Farm" vor 75 Jahren erschienen

Von Schweinen und Kapitalisten

"Alle Tiere sind gleich, aber manche Tiere sind gleicher": In George Orwells Satire "Animal Farm" ist der Satz zynischer Schlusspunkt einer fatalen Entwicklung. Vor 75 Jahren erschien der kleine Roman.

Schweine am Trog / © Photolines (shutterstock)

Die Fabel vom Aufstand der Tiere gegen den faulen Bauern Jones ist weithin bekannt: Kurz vor seinem Tod gibt ihnen der weise Eber Major die Vision freier, selbstbestimmt arbeitender Tiere mit. Und als der trunksüchtige Bauer den Bogen überspannt, jagen ihn die Tiere davon.

Danach geht zunächst alles gut; die Tiere schuften hart, weil sie für sich selbst arbeiten und sind - bei unterschiedlichen Fähigkeiten - untereinander solidarisch. Das ändert sich schnell: Die Schweine reklamieren Milch und Äpfel für sich alleine. Alles für das Wohl der Allgemeinheit, begründen sie ihren Egoismus; schließlich müssten sie, die Vordenker der Gruppe, bei Kräften bleiben.

So geht es weiter. Mit Hilfe von Propaganda und Einschüchterung wird aus der anfänglichen Gemeinschaft am Ende das, was auch schon am Anfang stand - eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Jetzt sind es die Schweine, die im Luxus schwelgen, alle anderen schuften und hungern.

Zeitlos aktuell

Der kleine Roman, dessen Thema zeitlos aktuell wirkt, erschien wenige Monate nach Kriegsende, am 17. August 1945, in London. George Orwell (1903-1950) hatte seine Satire ausdrücklich auf den Stalinismus gemünzt, auf Säuberungen und Schauprozesse, rücksichtslose Industrialisierung auf Kosten der Bevölkerung und "Helden der Arbeit" - im Roman steht dafür das Pferd Boxer. Als Boxer nach einem Unfall nicht mehr arbeiten kann, liefern die Schweine ihn an den Abdecker. Dieses Schicksal würde ihm beim Bauern bevorstehen, hatte Major einst prophezeit - aber die Schweine sind keinen Deut besser.

Die menschenverachtenden Machenschaften, die der Roman schildert, lassen viele an totalitäre Systeme insgesamt denken. So manchem Leser fällt der Nationalsozialismus ein, wenn von den zur Terrorgruppe abgerichteten Hunden die Rede ist. Anführer-Schwein Napoleon hat sich diese Truppe frühzeitig gesichert; am Ende wird er von seinem Chef-Propagandisten Schwatzwutz mit "Führer" angeredet. In den faschistischen Regimen der Zeit war die Anrede beliebt. Auch der Gewinner des Spanischen Bürgerkriegs Francisco Franco ließ sich mit "Caudillo", also "Führer" titulieren.

Mittel literarischer Aufklärung

Orwell hatte im Spanischen Bürgerkrieg als Mitglied der POUM gekämpft, einer kommunistischen Gruppe, die vom sowjetischen Stalinismus als Konkurrenz betrachtete wurde. Stalinistische Politkommissare unterwanderten die POUM, folterten und mordeten. Angeblich standen auch Orwell und seine Frau auf einer Todesliste.

Zurück in England, wollte ihm kaum jemand glauben. Die britischen Intellektuellen dieser Zeit waren kritiklose Bewunderer der Sowjetunion. Im Roman sind sie als Schafe verewigt, eine dumpfe Masse, die jede noch so absurde Wendung im Verhalten der Schweine bejubelt.

Das Genre der Fabel ist seit der Antike ein Mittel literarischer Aufklärung. So hatte auch Orwell seinen Roman angelegt. Er war Sozialist; ihm ging es darum, die Fehlentwicklungen des Sowjetsystems offen zu legen. Er wolle die "Wiederbelebung der sozialistischen Bewegung" ermöglichen, schrieb er in einem Essay.

Beginn des Kalten Kriegs

Das ist ihm nicht gelungen. Anfangs hatte er Mühe, "Animal Farm" zu veröffentlichen. Schließlich war die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg eine Verbündete Großbritanniens; darauf nahmen die Verlage Rücksicht. Schon bald nach der Veröffentlichung begann der Kalte Krieg. Sowjetische Empfindlichkeiten spielten nun keine Rolle mehr. Im Gegenteil, Orwells Roman wurde selbst zum Propagandamittel. 1951 kaufte ausgerechnet die amerikanische CIA die Filmrechte und finanzierte einen Zeichentrickfilm, der 1954 in die Kinos kam.

Die Pointe des Romans wurde dabei in ihr Gegenteil verkehrt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Menschen und Schweinen war ja bestehen geblieben: Die einen haben zwei, die anderen vier Beine. Aber sogar dieser Unterschied verschwimmt am Ende des Romans. Die anderen Tiere können nicht mehr erkennen, wer Mensch und wer Schwein ist - wer Kapitalist und wer Sozialist. Diese Lesart passte nicht ins Konzept anti-kommunistischer US-Propagandisten. Im Film gibt es stattdessen eine zweite Revolution, bei der auch die Schweine vertrieben werden.


Ein Zitat aus George Orwells "Animal Farm" bei einem Protest in London / © Ms Jane Campbell (shutterstock)
Ein Zitat aus George Orwells "Animal Farm" bei einem Protest in London / © Ms Jane Campbell ( shutterstock )

Der englische Schriftsteller Geroge Orwell / © PA Wire (dpa)
Der englische Schriftsteller Geroge Orwell / © PA Wire ( dpa )
Quelle:
KNA