Volkskirchen der USA unter Veränderungsstress

Balance-Akt zu Wahlkampfzeiten

Die protestantischen Volkskirchen in den USA stehen unter Stress. Konservativere Mitglieder wandern zu den Evangelikalen ab. Es drohen Spaltungen.

Autor/in:
Thomas Spang
US-Präsident Donald Trump hält eine Bibel während er die St. John's Episcopal Church besucht / © Patrick Semansky (dpa)
US-Präsident Donald Trump hält eine Bibel während er die St. John's Episcopal Church besucht / © Patrick Semansky ( dpa )

Nach den Schüssen von Polizisten auf den Schwarzen Jacob Blake in Kenosha ergriffen die Lutheraner die Initiative: Sie luden in der politisch gespaltenen Stadt im US-Bundesstaat Wisconsin zu einem Fürbitt-Gottesdienst ein.

Die "Evangelical Lutheran Church in America" betrachtete es als ihre Aufgabe, Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft zusammenzubringen.

"Ein Gift, das uns allen schadet"

Aber Bischof Paul Erickson von der Synode des Großraums Milwaukee bezog auch klar Position. "Rassismus ist ein Gift, das uns allen schadet", predigte Erickson den 200 Zuhörern, die mit Maske und körperlichem Abstand am 2. September zur "Grace Lutheran Church" in Kenosha kamen, um für Blake, dessen Angehörige und die Stadt zu beten.

Bemerkenswert an der Initiative der zweitgrößten protestantischen "Mainline"-Kirche ist, dass die rund 3,5 Millionen Mitglieder zu 94 Prozent weiß sind. Bischöfin Elizabeth Eaton rückt das Engagement denn auch in eine historische Perspektive. Sie hoffe, die Lutheraner hätten damit ein Zeichen der sozialen Gerechtigkeit nach langen Phasen gesetzt, "in denen wir nichts getan haben."

Die traditionellen protestantischen Kirchen in den USA erlebten in den vergangenen Jahren erhebliche Veränderungen. Das hat viel mit der Abwanderung von Mitgliedern zu evangelikalen Gemeinden oder Austritten zu tun. Lutheraner, Reformierte, Presbyterianer, Methodisten, Episkopale und schwarze AME-Kirchen machen heute zusammen nur noch 15 Prozent der US-Gesellschaft aus - zehn Prozent weniger als die Evangelikalen.

Konfliktlinien quer durch die Gemeinden

Weil es Volkskirchen sind, verlaufen die Konfliktlinien, wie bei den amerikanischen Katholiken, nicht selten direkt durch die Gemeinden. Allen voran bei Dauerbrennern der amerikanischen Kulturkämpfe wie der Ehe gleichgeschlechtlicher Paare, der Ordination von Klerikern mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und Abtreibung.

Die mit sieben Millionen Mitgliedern größte "Mainline"-Kirche in den USA, die United Methodist, wird sich deshalb im nächsten Jahr spalten. Sie schaffte es nicht, ihre Meinungsverschiedenheiten zu Fragen der Sexualität zu überbrücken. Wie schon vorher bei der Episkopal-Kirche sind es die eher konservativen Mitglieder, die ausscheren.

John Dorhauer, der den 800.000 Reformierten der United Church of Christ vorsteht, sagt, seine Kirche lege Wert darauf, Menschen mit verschiedenen Weltsichten willkommen zu heißen. "Unsere Pastoren müssen einen Rahmen schaffen, in dem sich jeder frei im Gebet ausdrücken kann."

Tatsächlich finden sich in den meisten Volkskirchen der Protestanten auch ganz unterschiedliche politische Haltungen - also Republikaner, Demokraten und Unabhängige. Das Musterbeispiel waren bisher die Methodisten, denen so unterschiedliche Politiker wie Hillary Clinton und George W. Bush angehören. Durch die Abwanderung konservativerer Mitglieder zu den Gemeinden der Freikirchen hat sich das Zentrum aber auch hier weiter nach links verschoben.

Dabei kommt es nur selten vor, dass Pastoren politische Predigten halten. Die Gemeinden der Volkskirchen profilieren sich eher durch tätige Nächstenliebe, soziale Dienste und neutrale politische Aktivitäten wie das Registrieren von Wählern. "Diese Protestanten sind oft besonnener in ihrer öffentlichen Rhetorik", meint der Vorsitzende der Konferenz der methodistischen Bischöfe, Kenneth Carter.

Geeint für moralische "Prinzipien und Werte"

In einem Punkt haben sich alle Volkskirchen klar positioniert: beim Ringen um das Ende von Diskriminierung wegen Hautfarbe, Religion und Herkunft. So wie nach der gewaltsamen Räumung des "Lafayette-Platzes" vor dem Weißen Haus, als Präsident Donald Trump vor die St. John's Episcopal Kirche zog, um sich dort mit Bibel ablichten zu lassen.

"Er kam nicht, um zu beten, sondern um parteiische Politik zu machen", verwahrt sich der erste schwarze Vorsitzende der Episkopal-Kirche in den USA, Michael Curry, gegen den Missbrauch eines Gotteshauses seiner Glaubensgemeinschaft als Kulisse. "Wir unterstützen oder opponieren nicht gegen einen bestimmten Kandidaten", stellt Curry klar. "Aber wir verteidigen unsere moralischen Prinzipien und Werte, die der Schlüssel zu unserem Glauben sind."


Quelle:
KNA