Vier Christen ins türkische Parlament gewählt

Versöhnung erwünscht

Die pro-kurdische Partei HDP hat es ins türkische Parlament geschafft und anscheinend Erdogans Pläne für ein präsidiales System gestoppt. Bei der Wahl ist auch vier christlichen Kandidaten der Einzug ins Parlament gelungen.

Autor/in:
Shabtai Gold
Anhänger der pro-kurdischen HDP (dpa)
Anhänger der pro-kurdischen HDP / ( dpa )

Wie die türkische Presse (Montag) meldete, konnten sich drei armenische Kandidaten ein Mandat sichern. Zudem wurde der aramäische Politiker Erol Dora, der bereits seit 2011 im Parlament sitzt, in seinem Wahlkreis bestätigt.

Die Kurdenpartei HDP schickt zwei christliche Abgeordnete nach Ankara, die islamisch-konservative Regierungspartei AKP sowie die säkularistische CHP jeweils einen. Wie die armenische Wochenzeitung "Agos" meldet, ist das die höchste Zahl christlich-armenischer Abgeordneter seit mehr als einem halben Jahrhundert.

Neben den Christen erhielten auch zwei Kandidaten der Jesiden ein Mandat. Die aus Deutschland stammende Politikerin Feleknas Uca und der Kandidat Ali Atalan ziehen für die Minderheit ins Parlament ein. Die Jesiden sind Angehörige einer uralten Religion, die seit Jahrhunderten Verfolgung zu erleiden haben und als "Teufelsanbeter" beschimpft werden.

Jubel in Kurdenmetropole

In der südosttürkischen Kurdenmetropole Diyarbakir brach am Sonntagabend Jubel aus. "Heute ist der Anfang vom Ende Erdogans und der AKP. Heute ist ein so hoffnungsvoller Tag", sagte der 38-jährige Bauarbeiter Ferid Kazary nach Bekanntgabe erster Wahlergebnisse. Die Menschen feierten bei spontanen Straßenfesten mit kurdischen Liedern und Feuerwerk, junge Männer fuhren laut hupend mit der weißen Fahne der pro-kurdischen Partei HDP durch die Straßen. Andere schwenkten die rot-grün-gelbe kurdische Fahne.

48 Stunden zuvor war die Stimmung in Diyarbakir noch im Keller. Bei zwei Explosionen bei einer Wahlkampfveranstaltung waren drei Menschen getötet und 220 verletzt worden. Viele gaben der Regierung die Schuld an dem Anschlag. "Mein Cousin wurde bei dem Anschlag am Freitag getötet", klagt der Büroangestellte Haci Ahmet. Dass die Partei so gut abgeschnitten habe, sei ein unglaubliches Gefühl. "Ich hoffe, dass die HDP den Kurdenregionen Frieden und ein gutes Leben bringen wird. Ich hoffe, dass der Krieg in diesem Land endlich ein Ende haben wird."

Neuer Schub für Friedensprozess?

Ahmet hatte wiederholt die islamisch-konservative AKP des türkischen Staatspräsidenten und ehemaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gewählt. Er fühle sich jedoch von Erdogan betrogen, da dieser den Friedensprozess mit den Kurden nicht vorangebracht habe.

Der Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die von Ankara und von vielen westlichen Ländern als terroristische Organisation eingestuft wird, hat in den vergangenen 30 Jahren mehr als 40 000 Menschenleben gefordert. In den 1980er und 1990er Jahren galt in den Kurdengebieten der Ausnahmezustand, etwa 3000 kurdische Dörfer wurden vom Militär zerstört.

"Ich bin 70 Jahre alt. Ich dachte, ich würde nie den Tag erleben, an dem eine kurdische Partei ins Parlament einzieht", sagt Ayse Kirecli. "Mein Dorf wurde vom Militär niedergebrannt. Wir haben unser Zuhause verloren und mussten fliehen. So viele Menschen aus meinem Dorf sind in dem Krieg gestorben."

Kirecli hofft, dass es der HDP gelingen wird, die Ambitionen Erdogans zu bremsen. Der Staatspräsident hatte daraufgesetzt, dass seine AKP eine absolute Mehrheit holt. Diese wollte der ehemalige Ministerpräsident dazu nutzen, die Verfassung zu ändern und ein Präsidialsystem auf den Weg zu bringen.

Erdogans AKP auf Koalitionspartner angewiesen

Durch den Einzug der HDP wird Erdogans AKP erstmals seit 2002 nicht allein regieren können. Die Partei, die einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Türkei begleitete, ist nun auf einen Koalitionspartner angewiesen. Eine eher schlechte wirtschaftliche Entwicklung unter einer Reihe von Koalitionsregierungen in den 1990er Jahren hatte damals den Weg für die Wahlerfolge der AKP geebnet.

Die pro-kurdische HDP steht nun vor vielen Herausforderungen. Ihre Anhänger hoffen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung im größtenteils kurdischen Südosten der Türkei. Zudem hoffen sie, dass die Partei die seit vielen Jahren verbotene kurdische Sprache voranbringen kann.

Kurdische Jugendliche forderten am Sonntag auch Freiheit für den inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan. Die 2012 initiierten Friedensgespräche der Regierung mit dem Kurdenführer sind ins Stocken geraten. "Was das Land jetzt am dringendsten braucht, ist Frieden zwischen den Türken und den Kurden", sagt Kirecli mit einer kurdischen Fahne in der Hand. "Ich wünsche mir Versöhnung für dieses Land."


Quelle:
dpa , KNA