Caritas wünscht sich mehr Anerkennung für Menschen mit Behinderung

"Vielfalt gehört zum Leben"

Sie spüren bereits "Diskriminierungsmomente" in der Gesellschaft. Ein allgemeiner Gentest in der Schwangerschaft begünstige eine Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung, kritisiert der Bundesfachverband der Caritas Behindertenhilfe.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Ist es nicht verständlich, wenn Eltern wissen wollen, ob ihr Kind gesund auf die Welt kommt?

Thorsten Hinz (Geschäftsführer des Bundesfachverbands Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie): Man muss differenzieren. Die Frage der Gesundheit ist natürlich sehr wichtig im Falle des geborenen Kindes. Bei nicht geborenen oder Ungeborenen ist das schon eine sehr komplexe Frage. Natürlich ist es sehr verständlich, wenn Eltern wissen wollen, ob sie ein Kind mit oder ohne Behinderung zur Welt bringen werden.

Aber die generelle Betrachtung, warum ein Kind mit Behinderung als "nicht passend" für diese Welt anzusehen ist, das ist eine ethisch sehr strittige Frage. Da sind wir einfach skeptisch, dass der medizinische Fortschritt dieses Versprechen wirklich einlösen kann. Das Thema Behinderung ist uns insofern wichtig, da im Grunde auch die Grundrechte garantieren, dass kein Mensch wegen seiner Behinderung benachteiligt oder seine Teilnahme an der Gesellschaft irgendwie beeinträchtigt werden darf.

Da glauben wir, dass durch ein generelles Screening und Pränatal-Tests als gesetzliche Regelleistung den werdenden Eltern der Eindruck vermittelt werden kann, man könne im Grunde vorher schon klären, dass das Kind nicht behindert sein wird. Dieses Versprechen ist einerseits medizinisch und forschungstechnisch einzulösen und andererseits trägt das auch zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderung bei.

DOMRADIO.DE: Da liegt aber auch ein Gedankensprung drin. Wenn Eltern sich informieren wollen, selbst mit der Information, dass das Kind mit Down-Syndrom auf die Welt kommt, heißt das ja nicht gleichzeitig, dass sie dieses Kind abtreibe wollen oder für nicht lebenswert halten. Wie sehen Sie diesen Punkt?

Hinz: Ein Stück weit gebe ich Ihnen da Recht. Natürlich ist es für Eltern wichtig und das wird ja auch in den Regeluntersuchungen derzeit durchgeführt, dass Ärzte sehr genau eine Schwangerschaft begleiten und ganz richtig auch über Ultraschall beispielsweise schauen, ob da in irgendeiner Form Abweichungen, Erkrankungen oder Beeinträchtigungen vorliegen.

Wir sagen ja auch nicht generell, dass nicht geschaut werden darf, wenn gerade nach ärztlicher Indikation absehbar ist, dass es zu Komplikationen oder Beeinträchtigungen kommt.

Das Lebenswohl der Mutter oder auch des werdenden Kindes ist uns sehr wichtig und wir sind nicht per se gegen medizinischen Fortschritt. Aber diese generelle und ohne medizinische Indikation angelegte Möglichkeit, zu testen, ob ich möglicherweise eine Beeinträchtigung im werdenden Leben habe, das erscheint uns doch noch ein Schritt zu sein, den wir so nicht mitgehen wollen.

DOMRADIO.DE: Steckt dahinter nicht auch eine gesellschaftliche Frage, wie mit Menschen mit Behinderung umgehen?

Hinz: Genau. Wir sehen zunehmend, dass Eltern mit behinderten Kindern in unserer Gesellschaft diskriminiert werden. Sie müssen sich Fragen anhören, ob das überhaupt auf Grundlage unseres technischen Fortschritts heute noch notwendig ist, dass ein behindertes Kind zur Welt kommt.

Das mögen Extrembeispiele sein. Aber es drückt ein bisschen aus, dass sich die gesellschaftliche Haltung und Einstellung dahingehend entwickelt. Dieses vermeintliche Forschungsversprechen des perfekten Menschen, was sich in vielen anderen Bereichen des Konsumlebens auch immer wieder abbildet, entspricht einfach nicht der Wirklichkeit. Vielfalt gehört zum Leben und hat schon immer zum Leben gehört. Es wird weiterhin auch unser Leben bestimmen. Abweichungen in jeglicher Form sind eine Bereicherung für die Gesellschaft. Die Stärke einer Gesellschaft beweist sich auch darin, indem sie mit dieser Vielfalt umgehen kann und sie als Wert und Kraft ihrer eigenen Identität dann auch unterstützt.

DOMRADIO.DE: Nochmal nachgefragt, inwiefern hat sich denn Ihrer Meinung nach das Bild oder die Stellung der Gesellschaft zu diesem Thema in den vergangenen Jahren verändert?

Hinz: Das ist ein wichtiger Punkt. Die Menschen mit Behinderungen ,mit denen wir arbeiten und sprechen, haben große Sorge vor diesen Debatten, die wir aktuell gerade führen. Diese Debatten zeigen sich aber auch an anderen Stellen, sodass sie das Gefühl haben in dieser Gesellschaft nicht mehr ohne weiteres akzeptiert zu sein.

Da ist es wichtig, dagegenzuhalten. Der zunehmende Populismus, der eben auch andere soziale Gruppen in unserer Gesellschaft anfeindet, trifft gerade auch Menschen mit Behinderungen oder Menschen mit psychischen Erkrankungen. Da wird vielfach ein genereller Diskriminierungsmoment spürbar in unserer Gesellschaft. Das macht Menschen mit Beeinträchtigungen und vor allem deren Familien inzwischen große Sorgen.

DOMRADIO.DE: Was kann man tun und was tun Sie als Caritas, um dem entgegenzuwirken?

Hinz: Auf der gesellschaftspolitischen Ebene machen wir sehr deutlich, dass genau diese Vielfalt, von der ich gesprochen habe, ein Wert und Reichtum für jede Gesellschaft ist – und einfach auch wunderbar im Erleben. Das wird uns immer wieder deutlich, wenn wir Menschen mit Behinderungen in der Mitte unserer Gesellschaft auch begegnen.

Wir tun sehr viel dafür, dass diese Menschen und deren Familien in ihren Bedürfnissen eng begleitet und fachlich unterstützt werden – und vor allem auch menschliche Unterstützung an die Seite gestellt wird. Ein Kind mit Behinderung hat sehr viele Möglichkeiten und Chancen in unserer Gesellschaft anzukommen und sich zu entwickeln.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR
Mehr zum Thema