Verfahren zum Tod in Dessauer Polizeizelle muss neu aufgerollt werden

Fall von "institutionellen Rassismus"?

Fünf Jahre nach dem Tod eines Asylbewerbers in einer Polizeizelle im anhaltischen Dessau wird das Verfahren gegen einen leitenden Polizeibeamten neu aufgerollt. Der Bundesgerichtshof hob am Donnerstag in Karlsruhe den Freispruch des Landgerichts Dessau-Roßlau für den damaligen Dienstgruppenleiter auf und verwies das Verfahren zurück an das Landgericht Magdeburg. Die Entscheidung wurde von Parteien, Vereinen und Flüchtlingsorganisationen überwiegend begrüßt.

Autor/in:
Karsten Wiedener
 (DR)

In der mündlichen Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs heißt es, «es drängen sich mehrere Fragen auf, die neu verhandelt werden müssen». Der Polizeibeamte habe sich entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht «pflichtgemäß verhalten», sagte die Vorsitzende Richterin Ingeborg Tepperwien auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Tod des Afrikaners Oury Jallohs.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) sagte, die Wiederholung des Strafprozesses sei eine Möglichkeit, zu einer vollständigen juristischen Aufarbeitung des Todes des Afrikaners Oury Jalloh zu kommen. Die Flüchtlingsorganisation «Pro Asyl» erklärte, mit der Entscheidung verbinde sich die Hoffnung auf eine späte Aufklärung des Falls. Fünf Jahre nach dem Brandtod werde es allerdings nicht leichter werden, die Umstände aufzuklären.

Die Integrationsbeauftragte des Landes, Susi Möbbeck, sagte dem epd, die Neuauflage des Prozesses sei auch wichtig für das Gerechtigkeitsempfinden der Migranten und deren Vertrauen in Justiz und Polizei. Der bisherige Verlauf der Aufklärung habe dieses Vertrauen beeinträchtigt. Der anhaltische Kirchenpräsident Joachim Liebig unterstrich, über Schuld oder Unschuld könne nur dann abschließend befunden werden, wenn das «schreckliche Ereignis» auch lückenlos aufgeklärt werde.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) bezweifelt dagegen den Sinn einer erneuten Beweisaufnahme. Er sehe keinen Weg, wie der Forderung nach einer weiteren Aufklärung entsprochen werden könne, sagte der GdP-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt, Uwe Petermann, dem epd. In den rund 60 Verhandlungstagen habe das Landgericht Dessau-Roßlau bereits alles getan, um sämtliche verfügbaren Fakten aufzuarbeiten.

Oury Jalloh war am 7. Januar 2005 an eine Liege gefesselt in der Gewahrsamszelle verbrannt. Nach Darstellung der Polizei soll er das Feuer selbst ausgelöst haben. Laut Bundesgerichtshof sind die näheren Umstände, wie der Asylbewerber aus Sierra Leone den Brand habe selbst legen können, nicht eindeutig nachgestellt worden.

Eine Rettung Jallohs wäre laut ursprünglicher Anklageschrift möglich gewesen, wenn die Beamten rechtzeitig und richtig reagiert hätten. Die Polizei hatte Jalloh festgenommen, weil sich Frauen der Stadtreinigung von ihm belästigt fühlten und das Revier um Hilfe riefen. Die Beamten nahmen ihn in Gewahrsam, um seine Aufenthaltspapiere zu überprüfen, obwohl er ihnen bekannt war.

Das Landgericht Dessau-Roßlau hatte im Dezember 2008 zwei beteiligte Beamte des Polizeireviers freigesprochen. Im Fall des diensthabenden Vorgesetzten legten daraufhin Staatsanwaltschaft und die Familie des Opfers Berufung beim Bundesgerichtshof ein.

Mit großer Erleichterung reagierten Freunde und Angehörige von Jalloh auf die Entscheidung der Karlsruher Richter. «Es ist ein gerechtes Urteil heute, ich hätte die Richterin für jeden Satz umarmen können», sagte der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Yonas Endrias. Eine unabhängige Untersuchungskommission forderte Mouctar Bah, Mitbegründer der «Initiative in Gedenken an Oury Jalloh» und Träger der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2009.

In Dessau-Roßlau erinnerten am Donnerstag insgesamt 250 Menschen an den Tod Jallohs. Neben einer Gedenkfeier mit Oberbürgermeister Klemens Koschig (parteilos) wurden am Morgen Kerzen und ein Kranz am Eingang des Polizeireviers niedergelegt, in dem Jalloh starb. An einer Demonstration verschiedener Flüchtlingsinitiativen am Nachmittag beteiligten sich laut Polizei 170 Menschen.