Verbände zum Tag der Menschen mit Behinderung

"Sie kriegen nichts geschenkt"

Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember dringen Verbände auf einen Kurswechsel in der Behindertenpolitik der Bundesregierung. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf einem Gesetz mit einem sperrigen Namen.

Autor/in:
Birgit Wilke
Rollstuhlfahrer vor einer Treppe / © Daniel Maurer (dpa)
Rollstuhlfahrer vor einer Treppe / © Daniel Maurer ( dpa )

Dem früheren linken Bundestagsabgeordneten Ilja Seifert, seit einem Unfall selbst Rollstuhlfahrer, ist es ernst: "Wir müssen endlich weg vom Gedanken der sozialen Wohltaten für Behinderte hin zu einer menschenrechtsorientierten Politik", so der Vorsitzende des Allgemeinen Behindertenverbands.

Forderung nach Kurswechsel in der Behindertenpolitik der Regierung

Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung fordert er einen Kurswechsel in der Behindertenpolitik der Bundesregierung. Der Anspruch der Behindertenverbände, von denen sich rund 140 Organisationen zum Deutschen Behindertenrat zusammengeschlossen haben, lautet: Die Umwelt muss so gestaltet werden, dass sich dort jeder bewegen kann.

In der 2009 in Deutschland in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention habe sich Deutschland schließlich dazu verpflichtet, so die Verbandsvertreter. Behinderte bekämen also "nix geschenkt", sagt die Bundesvorstandsvorsitzende der BAG Selbsthilfe, Hannelore Loskill.

Weg vom Status der Bittsteller

Einen großen Schritt hin zu einer Umsetzung sehen die Beteiligten in der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes. Dieses Gesetz mit dem sperrigen Namen, dessen Umsetzung die Regierung in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, soll einen Perspektivwechsel vollziehen und behinderten Menschen zu mehr Rechten verhelfen. Sie sollen wegkommen vom Status des Bittstellers.

Auch die Privatwirtschaft soll dabei in die Pflicht genommen werden, so Loskill. Was in den USA möglich sei, müsse auch hier realisiert werden können, meint sie. Als Beispiel nennt ihre Kollegin, die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, Arztpraxen. Diese müssten endlich alle barrierefrei sein. 

Deutsche Bischofskonferenz fordert Gleichberechtigung

Ein gleichberechtigtes Leben von Behinderten und Nicht-Behinderten fordert auch die Deutsche Bischofskonferenz. Es gelte, diesen Gedanken endlich in die Praxis umzusetzen, so der Beauftragte für die Seelsorge für Menschen mit Behinderung, Weihbischof Otto Georgens. Und er warnt davor, dass die Inklusion nicht als Sparprozess enden dürfe.

Nicht zu unrecht: Auch die Verbände fürchten, dass das Vorhaben an der Finanzierung scheitern könnte, seit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im vergangenen März die Kommunen zwar um fünf Milliarden Euro entlastete, dieses Geld aber nicht mehr an eine Reform in der Behindertenpolitik band. Seitdem droht laut Angaben der Verbände beim Bundesteilhabegesetz eine Finanzierungslücke, denn die Eingliederungshilfen für behinderte Menschen müssen zum großen Teil die Kommunen schultern.

Seifert verdeutlicht, wie diese Hilfen auch ganz konkret den Geldbeutel von behinderten Menschen belasten: So können behinderte Beschäftigte, die eine Assistenz benötigen, keine großen finanziellen Rücklagen bilden. Derzeit dürfen sie nicht mehr als 2.600 Euro ansparen, weil ihr Gehalt mit den Kosten für eine Assistenz verrechnet wird.

Trotzdem hoffen die Behindertenverbände, dass das Bundesteilhabegesetz zum 1.1.2017 in Kraft tritt. Es befindet sich derzeit in der Bearbeitung, einen Referentenentwurf gibt es noch nicht. Dafür, dass der Bundestag möglichst im kommenden Jahr über einen Entwurf entscheidet, kämpft auch die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele. Die blinde Politikerin, die jahrelang als Biathletin aktiv war und bei den Paralympischen Spielen mehrere Medaillen gewann, hat keinen Zweifel, dass es in dieser Legislaturperiode kommt, wie sie immer wieder betont. Da wisse sie auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) an ihrer Seite.


Quelle:
KNA