Er sitzt mittlerweile auf gepackten Koffern, das Ticket für den Flug in die Heimat Israel ist gebucht. Aber die aktuelle Situation im Nahen Osten macht es im Augenblick eher unwahrscheinlich, dass Yechiel Leo Bruker am kommenden Montag zum Flughafen fährt. Termine und Interviews will er in seinen letzten Tagen in Deutschland eigentlich nicht mehr wahrnehmen. Für DOMRADIO.DE macht er jedoch eine Ausnahme und besucht sogar an einem Nachmittag die Redaktion im Schatten des Kölner Domes.
Gleich zu Beginn des Gesprächs betont Brukner die zentrale Rolle seiner Frau in den sieben Jahren, in denen er als Rabbiner in Köln tätig war. Ohne sie, die beinahe die gesamte Zeit an seiner Seite verbrachte, wäre seine Arbeit nur schwer vorstellbar gewesen. "Sie hat beinahe die ganzen sieben Jahre durchgezogen, ist aber seit letztem Oktober schon wieder zurück zu Hause in Israel bei unserer Familie, wo sie auch sehr gebraucht wird." – Die aktuelle Situation im Nahen Osten betrifft auch die Familie Brukners, denn der Kriegszustand mobilisiert immer wieder zwei Söhne und zwei Schwiegersöhne für ein paar Monate für das Militär. Die Töchter und Schwiegertöchter müssen in dieser Zeit ohne ihre Ehemänner auskommen. "Da ist schon eine helfende Hand, die meine Frau reichen kann, sehr gefragt", erzählt der Rabbiner, der bis jetzt in Köln geblieben ist, den es jetzt aber auch ganz stark zurückzieht.
Auf die Frage, welche Highlights er in den vergangenen sieben Jahren in Köln erlebt habe, gesteht Yechiel Brukner, dass er kein Mensch sei, der nach Highlights sucht. "Ich bin ein Mensch, der versucht, aus dem Alltag Highlights zu machen." – Er habe sich in allen Gottesdiensten in der Synagoge und im Gemeindesaal geübt, die es mit den Gemeindemitgliedern und Gästen gab. Gespräche mit Menschen, die zu ihm gekommen sind oder Menschen auf die er zugegangen ist, habe er sehr gerne geführt, vor allem dann, wenn diese Menschen mit einem Lächeln von ihm gegangen sind. "Das sind für mich die Highlights in diesen sieben Jahren."
In Köln von Anfang an willkommen gefühlt
Köln beschreibt Brukner als einen Ort, an dem er sich von Anfang an sehr willkommen fühlte. Besonders seine Frau sei sofort von der Atmosphäre der Stadt angetan gewesen. "Köln hat einen Charme, etwas, wo man sich wirklich einfach sofort wohlfühlt, aufgenommen fühlt und das war eigentlich das dominierende Gefühl." - Doch obwohl Köln als weltoffen gilt, erlebte Rabbiner Brukner auch die Schattenseiten des öffentlichen Lebens. Als er zu Beginn in der Stadt mit seiner Kippa, der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung, unterwegs war, sei es mehrfach zu unangenehmen und bedrohlichen Situationen gekommen.
Der öffentliche Nahverkehr, den er gerne nutzte, um in Kontakt mit den Kölnern zu treten, war nicht immer ein sicherer Raum für ihn. "Da sagte unser Sicherheitsverantwortlicher zu mir: Rabbi Brukner, wir mögen Sie sehr, wir möchten Sie gern gesund und unversehrt noch ein paar Jahre bei uns haben und bitte, bedecken Sie Ihre Kopfbedeckung." – Brukner betont, es sei nicht die Rede davon gewesen, ohne Kopfbedeckung unterwegs zu sein. Denn das ginge aus religiösen Gründen nicht. Daher trägt er heute zusätzlich einen Hut über seiner Kippa. "Im Winter geht das gerade noch. Aber ich mache das ungern." Andererseits wolle er auch nicht zur Zielscheibe anderer Leute werden.
Karneval ein Segen für Stadt und Umgebung
Trotz dieser Herausforderungen habe Rabbiner Brukner im Laufe der Jahre eine tiefe Wertschätzung für die kulturellen Eigenheiten der Stadt entwickelt, wie etwa den Kölner Karneval, der ihn aber anfangs irritierte. "Das, was ich am Anfang vom Fenster in der dritten Etage der Roonstraße 50 gesehen habe, was da unten auf der Straße lief, muss ich Ihnen ehrlich sagen, das hat mich nicht besonders entzückt." – Doch mit der Zeit habe er die tiefere Bedeutung des Karnevals als Ausdruck von Lebensfreude und Gemeinschaft verstanden. "Es ist ein Segen für die Stadt und die Umgebung."
Als Rabbiner habe Brukner sogar Karnevalisten in der Synagoge empfangen, um über gemeinsame Werte wie Fröhlichkeit und Gemeinschaft zu sprechen. Das sei jedoch nicht bei allen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde auf Zustimmung gestoßen, da der Karneval auch Wurzeln hat, die in der Vergangenheit problematisch waren. "Aber gerade was den Karneval betrifft, ist es mir viel wichtiger, eine Momentaufnahme zu machen und zu sagen, was heute Karneval für die Kölner ist. Und es ist etwas Gutes."
Auf den 1. FC Köln angesprochen, erklärt der ehemalige Kölner Rabbiner, der in der Schweiz aufgewachsen ist, dass er dort eine Affinität zum FC Zürich entwickelt habe. "Ich bin ein Sportfanatiker, ich habe eine Schwäche dafür." – Vor ein paar Jahren habe ihn ein Gemeindemitglied zu einem Spiel des 1. FC Köln eingeladen, das aber kein besonders großes Vergnügen gewesen sei. "Inzwischen sind wir ja – ich sage schon wir, das sagt schon etwas – abgestiegen."
Vor etwa zwei Jahren dann habe ihn der Präsident des FC, Werner Wolf, persönlich zu einem Spiel in die Geißbock-Loge eingeladen. Aufgrund der politischen Lage in Israel kurz vor dem 7. Oktober 2023 habe Brukner jedoch kurzfristig absagen müssen. "Momentan fährt über mein Volk so Schlimmes, dass ich nicht meine Zeit öffentlich in einem Fußballstadion verbringen kann."
Inzwischen haben man sich an die Kriegssituation in Israel 'gewöhnt' und so habe Brukner die Einladung wieder angenommen. Wichtig sei allerdings gewesen, dass das Spiel an einem Sonntag stattfindet, um die Heiligkeit des Schabbat nicht zu entweihen. So sei die Wahl auf das letzte Spiel der Saison gefallen, erzählt der Rabbiner mit einem Schmunzeln. "Es gibt welche, die behaupten, dass wahrscheinlich, weil der Rabbiner in der Loge präsent war und dieses Spiel betrachtet hat, deshalb haben wir 4:0 gewonnen und sind aufgestiegen."
Verhältnis zur katholischen Kirche ambivalent
Sein Verhältnis zur katholischen Kirche bezeichnet Brukner, der der Orthodoxen Rabbinerkonferenz angehört, als ambivalent: "Als tief fühlender Jude, der zweiten Generation nach der Shoah angehörend, habe ich natürlich ein ambivalentes Verhältnis zu der Religion, von der ich meine, dass ihre anti-judaistische Tradition, die leider bis heute noch nicht ganz ausgemerzt ist, dass das schlussendlich bei der Shoah stark mitgewirkt hat." Deshalb sei sein Verhältnis zur Kirche ein distanziertes.
Auf der anderen Seite sei er in der Schweiz aufgewachsen und habe nichtjüdische Schulen besucht. So habe er ein ganz natürliches Verhältnis zu seinem nichtjüdischen Umfeld entwickeln können. In Zürich habe er immer den Uhrschlag und das Glockengeläut der reformierten und der katholischen Kirche gehört, zwischen denen er wohnte. In Köln habe er mit Weihbischof Rolf Steinhäuser und Thomas Frings, Referent im Erzbistum für den Dialog mit dem Judentum, eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut, die sich auch in konkreten Initiativen zur Bekämpfung des Antisemitismus äußerte. "Wir konnten über alles reden, über persönliche Dinge und natürlich auch über theologische Dinge."

Unvergesslich sei für ihn gewesen, wie Weihbischof Steinhäuser aus eigener Initiative nach dem Anschlag zu Jom Kippur 2019 auf die Synagoge in Halle ohne Anmeldung in Rabbinat kam. "Er stand da und hat gesagt, Worte genügen nicht. Ich musste zu Ihnen kommen, um meine Solidarität auszudrücken. Das ist dieser Weihbischof." – Bei Brukners Verabschiedung als Rabbiner in der Kölner Synagoge sei Steinhäuser natürlich auch dabei gewesen. "Ich hoffe, ich werde niemanden beleidigen. Von allen Rednern war er der Beste."
Mit gemischten Gefühlen verbringt Yechiel Leo Brukner nun seine letzten Tage in Köln. "Klar will ich jetzt nach Hause zurück, zu Frau und Kind und Land. Das ist im Moment das, was am meisten brennt." – Daher wünscht er sich, dass das mit dem Flug am 23. Juni klappt. Auf der anderen Seite sei es ihm noch wichtiger, dass Israel jetzt das tut, was es machen müsse. "Wir haben es zu tun in der Gegend, in die Gott uns nun mal hingeführt hat." – Israel kämpfe nicht nur um seine Existenz, sondern für die ganze Welt, ist der Rabbiner überzeugt. "Wenn deshalb der Rabbiner Brukner aus Köln dann noch paar Tage auf seinem Koffer sitzen muss, dann ist es das wert. Wir waren dem Frieden im Nahen Osten noch nie so nah wie heute."