Venezolanischer Erzbischof über die Lage in seinem Land

"Es gibt eine Zwei-Klassen-Gesellschaft"

In Venezuela gibt es immer wieder Spannungen zwischen der katholischen Kirche und der sozialistischen Regierung um Präsident Hugo Chavez. Zuletzt sorgte eine angeblich von der Regierung finanzierte linientreue Kirche für Schlagzeilen. Erzbischof Baltazar Porras Cardozo von Merida wirft der Regierung vor, "die Kontrolle über alle Religionen und Institutionen" gewinnen zu wollen. Im Interview spricht er über die Lage der Kirche in Venezuela und die zunehmende Gewalt im Land.

Autor/in:
Tobias Käufer
 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, welche Rahmenbedingungen findet die Kirche in Venezuela vor?
Porras: Wir arbeiten auch weiterhin so wie wir es immer getan haben: Sehr nah an den Menschen, besonders dort wo die Armut am größten ist und die Menschen den Beistand der Kirche brauchen. Für uns ist die Arbeit in Venezuela nicht einfacher geworden. Zum Beispiel haben wir mit der katholischen Erziehung ein ernsthaftes Problem. Trotz der enormen Preisanstiege von 50 Prozent hat es uns die Regierung nur gestattet, die Schulgelder in diesem Jahr um 15 Prozent zu erhöhen.

So ist auf Dauer eine qualitative katholische Erziehungsarbeit, wie wir sie bislang in den kirchlichen Schulen hatten, kaum noch möglich und finanzierbar.

KNA: Die Kirche in Venezuela übt immer wieder Kritik an der Regierung um Chavez. Entstehen daraus Nachteile?
Porras: Es gibt in Venezuela eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Bürgern. Es gibt die, die auf der Seite der Regierung stehen und die, die dies nicht tun. Diese werden dann als Feinde, Verräter und Handlanger des Imperiums bezeichnet. Das ist ein sich stets wiederholendes Schema.

KNA: Es häufen sich Meldungen über Morde an Journalisten in Venezuela.
Porras: Es trifft zu, dass Journalisten ermordet werden, ohne dass man die entsprechende Untersuchung angeordnet hätte, um die Hintergründe herauszufinden. Aber was noch häufiger vorkommt sind systematische Angriffe auf Journalisten, um sie zu disqualifizieren und sie einzuschüchtern. Sie sehen sich dann gezwungen, das Land zu verlassen, zu schweigen oder einfach ihren Beruf aufzugeben. Sie suchen sich Tätigkeiten, die nichts mit den politischen und sozialen Realitäten des Landes zu tun haben.

KNA: Auch kirchliche Einrichtungen sollen jüngst in Venezuela überfallen worden sein.
Porras: Wir haben Berichte darüber erhalten, dass Vandalen im Wallfahrtsort «Santuario de la Virgen de Coromoto» versucht haben, die Monstranz und die Reliquie zu stehlen. In Valencia wurde die Kirche während eines Gottesdienstes von vermummten Personen überfallen. Aufgeklärt wurden diese Fälle bislang nicht. Eines der größten Probleme dieses Landes ist, dass es bewaffnete und unbewaffnete Menschen gibt.

In der Vergangenheit wurden Anhängern der Regierung oft Waffen ausgehändigt. Es gibt derzeit eine sehr hohe Mord- und Kriminalitätsrate, die mittlerweile sogar über den Zahlen in Kolumbien liegt, wo es bekanntlich seit vielen Jahren die Guerillaproblematik gibt. Leider bleibt ein Großteil dieser Taten unaufgeklärt und unbestraft. Deshalb haben wir in der Abschlusserklärung des jüngsten Treffens der Venezolanischen Bischofskonferenz auf dieses Thema hingewiesen. Der Staat muss für mehr Sicherheit sorgen.

KNA: Zuletzt gab es Meldungen über die Gründung einer «IglesiaCatolicaReformada», die von der Chavez-Regierung unterstützt werden soll. Was ist davon zu halten?
Porras: Es ist in Venezuela nichts wirklich Neues, dass irgendwelche Kräfte versuchen, etwas angeblich Neues zu konstruieren. Ich glaube, dass seit Beginn der Amtszeit der aktuellen Regierung der Staat versucht, die Kontrolle über alle Religionen und Institutionen zu gewinnen. Mir fällt es schwer zu glauben, dass diese sogenannte reformierte Kirche tatsächlich eine «Kirche der Armen» ist, wie sie sich nennt, wenn ihre Veranstaltungen in Fünf-Sterne-Hotels stattfinden.

Grundsätzlich möchte ich betonen, dass keine der christlichen Kirchen die «IglesiaCatolicaReformada» anerkennt. Wir möchten dieser Gruppe jedenfalls keine Bühne bieten und werden uns deshalb mit Kommentaren dazu zurückhalten - auch, weil wir die Gläubigen nicht noch weiter verwirren wollen.

Das Interview führte Tobias Käufer von der Katholischen Nachrichten Agentur KNA.