Vatikan will Verjährung aufheben - Angelus ohne Missbrauchsbezug

"Zehn-Jahres-Frist ist nicht angemessen"

Der Vatikan erwägt eine Aufhebung der zehnjährigen Verjährungsfrist für Missbrauchsdelikte. Die Praxis zeige, dass eine Zehn-Jahres-Frist dieser Typologie von Fällen nicht angemessen sei, so ein Verantwortlicher. Unterdessen äußerte sich der Papst beim Angelus nicht zur aktuellen Debatte.

 (DR)

Zuvor war darüber in zahlreichen Medienberichten spekuliert worden. Beim traditionellen Angelusgebet auf dem Petersplatz sprach das Kirchenoberhaupt über die Fastenzeit, die dazu einlade, "in der Reue über unsere Sünden zu wachsen" und Gottes Barmherzigkeit neu zu erfahren. "Wir alle brauchen diese Versöhnung", betonte der Papst. Die Vergebung Gottes sei "größer als unser Elend, aber auch größer als unsere Gerechtigkeit".

Benedikt XVI. wies zugleich auf eine Parallelität zwischen der Persönlichkeitsentwicklung und religiöser Reifung hin. Im Erwachsenwerden entwickle jeder Mensch seine Freiheit und Autonomie; dazu gehöre auch der Gedanke, ohne Gott auszukommen. Diese Phase könne zu einer atheistischen Haltung führen, aber auch "das wahre Gesicht Gottes" entdecken lassen. "Auch wenn wir uns entfernen und uns verirren, folgt er uns mit seiner Liebe, vergibt unsere Fehler und spricht zu unserem Gewissen, um uns zu sich zurückzurufen", sagte der Papst.

Vatikan erwägt Aufhebung der Verjährung für Missbrauch
Der Vatikan erwägt eine Aufhebung der zehnjährigen Verjährungsfrist für Missbrauchsdelikte. Die Praxis zeige, dass "eine Zehn-Jahres-Frist dieser Typologie von Fällen nicht angemessen" sei, erklärte Charles J. Scicluna, Strafverfolger der Glaubenskongregation für schwere kirchenrechtliche Vergehen. "Es wäre wünschenswert, zum früheren System zurückzukehren, nach dem es für schwerwiegende Vergehen keine Verjährung gibt", sagte er der italienischen Tageszeitung "Avvenire" am Wochenende.

Scicluna bezog sich dabei auf das katholische Kirchenrecht vor 1898, das bis dahin keine zeitliche Begrenzung für eine kirchliche Strafverfolgung kannte. 2001 legte der Papsterlass "De delictis gravioribus" (Über schwerwiegende Vergehen) für die kirchendisziplinarische Ahndung von Verstößen gegen das klerikale Keuschheitsgebot eine Verjährung von zehn Jahren fest, bei Missbrauch von Minderjährigen beginnen die zehn Jahre mit dem Erreichen des 18. Lebensjahrs.

Der Kirchenjurist verwies darauf, dass Papst Johannes Paul II. bereits 2002 die Vollmacht erteilt habe, in begründeten Einzelfällen von der Verjährung abzusehen. Diese Ausnahme werde "normalerweise auch gewährt", so Scicluna. Zu den "schwerwiegenden Vergehen" zählen nach dem Kirchenrecht etwa auch Verstöße gegen das Beichtgeheimnis und gegen die Eucharistie.