Vatikan dementiert Spekulationen gegen Kardinal

Purpurne "Vatileaks"?

Die Ermittlungen zur Veröffentlichung vertraulicher Dokumente aus dem Vatikan weiten sich offenbar auf Kardinäle aus. Nach einem Bericht der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" vom Montag steht mindestens ein italienischer Kardinal im Verdacht, geheime Papiere an Medien weitergeleitet zu haben. Der Vatikan wies diese Gerüchte umgehend zurück.

 (DR)

Nun ist Piero Antonio Bonnet am Zug. "Unbeirrt vom Druck der Medien" nahm der vatikanische Untersuchungsrichter am Montag seine Arbeit in Sachen "Vatileaks" auf, wie Vatikansprecher Federico Lombardi erklärte. Seit Jahresbeginn waren mehrere als geheim eingestufte Vorgänge aus dem Vatikan in TV-Sendungen und Zeitungen publik geworden. Der seit vergangenen Mittwoch wegen des illegalen Besitzes von vertraulichen Papst-Dokumenten verhaftete Kammerdiener Paolo Gabriele habe nach dreitägigem Schweigen seine Zusammenarbeit angeboten, so Lombardi. Man hoffe jetzt, möglichst bald "ein Klima von Transparenz, Wahrheit und Vertrauen" wiederherzustellen.



Noch aber gibt es rund um "Vatileaks" und den 46-jährigen Kammerdiener, einen dreifachen Familienvater, mehr Fragen als Antworten. Insbesondere in den italienischen Medien kochen Emotionen und Spekulationen hoch. Ein italienischer Kardinal stehe im Visier der Ermittler, schrieben Zeitungen - was Lombardi kategorisch dementierte. Ebenso das Gerücht, eine junge Frau, Italienerin und verheiratet, solle zu den Mittätern gehören.



Verschwörungs- und Komplotttheorien

Da sich Lombardi und die übrigen vatikanischen Informationsquellen ansonsten über den "Maulwurf" im Vatikan weitgehend ausschweigen, sind die Spekulationen und eigenen Recherchen der italienischen Medien umso kreativer. Sie reichen von Verschwörungs- und Komplotttheorien bis zu plumpen Entlastungsversuchen und der These vom Bauernopfer.



Da outet sich gegenüber "La Stampa" ein angeblicher Mittäter, der von einem Netz von 20 Personen spricht, das mit seiner Enthüllungsaktion letztlich Papst Benedikt XVI. helfen wolle. Dieses Netzwerk reiche vom Kardinal und Kardinalssekretär bis zur Schreibkraft. Gabriele selbst habe mit diesem Netz praktisch "nichts zu tun", so die Stampa-Quelle. "Er hat die Dokumente nicht entwendet. Er wurde nur eingeschaltet, um sie dem Papst zurückzugeben", lautet der fadenscheinig wirkende Entlastungsversuch.



Dem steht entgegen, dass die Gendarmerie in den Privaträumen Gabrieles - der im gleichen Haus wohnt wie die Mutter der vor 30 Jahren entführten Vatikanbürgerin Emanuela Orlandi, deren Fall erst kürzlich wieder aufgerollt wurde - offenbar vier Kisten mit Dokumenten sichergestellt hat. Den Angaben zufolge handelte es sich um vertrauliche Papiere aus einem längeren Zeitraum.



Zudem waren einige der Dokumente, die in dem vor einer Woche erschienenen Buch "Sua Santita" des TV-Journalisten Gianluigi Nuzzi im Faksimile publiziert wurden, nicht für das Archiv des Staatssekretariats bestimmt und dort registriert. Sie konnten somit nur aus dem Papst-Appartement direkt entwendet worden sein - was letztlich zur Überführung des Kammerdieners führte. Darunter war etwa eine von Papstsekretär, Prälat Georg Gänswein, verfügte Überweisung von der Ratzinger-Stiftung für die Vatikanbank IOR.



Während munter über die Motive Gabrieles spekuliert wird, geht die Suche nach möglichen Hintermännern oder Auftraggebern weiter. Wie vieles in Italien und auch im Vatikan bekomme man auch das Amt eines päpstlichen Kammerdieners nicht ohne Empfehlungen, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Und aus einer solchen Kette von Freunden könnten sich Verpflichtungen ergeben.



Weitgehende Einigkeit besteht in den meisten Spekulationen darüber, dass Gabriele wohl kein Einzeltäter war. Aber auch nicht das Hirn einer großen Enthüllungskampagne. Dass er vielmehr "irgendwie" mitgemacht hat, sei es aus fehlgeleitetem gutem Glauben oder gegen Geld. Die Quelle von "La Stampa" äußert schließlich noch einen weiteren Verdacht: Die Enthüllungsaktion richte sich letztlich womöglich gegen Kardinalsstaatsekretär Tarciso Bertone. Der sei manchem im Vatikan inzwischen zu mächtig geworden. Vielleicht versteckt sich ja hier das Motiv für "Vatileaks".



Papst beklagt Misstrauen

Und der Papst? Benedikt XVI. sei über den Stand der Ermittlungen voll informiert, betonte Lombardi. Er sei über den Vorgang "sehr traurig, aber gelassen". Es komme jetzt darauf an, möglichst bald ein "Klima von Transparenz, Wahrheit und Vertrauen" wiederherzustellen, so Lombardi.



Die Pfingstpredigt, in der der Papst von einem neuen "Babel" und von einen "Klima des Misstrauens, des gegenseitigen Verdachts bis hin zur Gefahr der einen für die anderen" sprach, wurde in Rom als Sorge über die beiden jüngsten Skandale im Vatikan gewertet. Die Verhaftung des Kammerdieners des Kirchenoberhaupts wegen Dokumentendiebstahls war unmittelbar auf die Entlassung des Präsidenten der Vatikanbank, Ettore Gotti Tedeschi, gefolgt.