DOMRADIO.DE: Normalerweise kann die Tinte noch nicht richtig trocken sein. Ist tatsächlich schon alles fertig oder gibt es vor dem Erscheinen nächste Woche Montag noch letzte Arbeiten an dieser Biografie?

Stefan von Kempis (Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Vatican News): Nein, ich bin gestern Abend fertig geworden und bin jetzt sehr stolz auf mich, muss ich sagen. Heute will ich es mir noch mal ganz in Ruhe durchlesen, mit ein bisschen Abstand, spazierengehend, ob das auch alles so stimmig ist. Aber ich habe einen guten Eindruck.
Ich habe die letzten Tage, eigentlich seit der Wahl von Leo XIV., einfach komplett durchgeschrieben, Tag und Nacht, Kaffee dazwischen getrunken, dann wieder etwas geschlafen, dann wieder gearbeitet.
DOMRADIO.DE: Haben Sie sich Urlaub genommen? Wie schafft man es denn, in einer Woche eine Biografie zu schreiben? Sie wussten ja nicht, wer der Papst wird. Hatten Sie schon verschiedene Biografien von verschiedenen Päpsten angefangen?
von Kempis: Wir hatten bei Radio Vatikan sowieso schon ein paar Biografien von Leuten, die es vielleicht werden könnten. Darunter war auch Kardinal Prevost, den hatten wir schon auch auf dem Schirm. Aber man kann natürlich keine Biografie über jemanden anfangen, den man A noch nicht kennt und der B noch gar nicht gewählt worden ist. Das bringt nichts.
Ich hatte nur ein Kapitel über Papst Franziskus und den Anfang des Konklaves, alles andere musste jetzt entstehen. Aber ich habe mich vor allen Dingen mental darauf eingestellt. Ab dem Moment, wo da jemand auf dem Balkon des Petersdoms steht, muss ich wirklich liefern. Und dann ging das auch.
Es kommen in Rom sehr viele Informationen an. Wir sitzen hier im Zentrum der Weltkirche und Prevost hat viele Jahre nicht nur in Peru und in den USA, sondern auch in Rom verbracht – zunächst als Augustiner-Ordensoberer und dann als Leiter des Bischofs-Dikasteriums. Sprich, hier gibt es sehr viele Infos über ihn, sehr viele Leute, die ihn kennen, mit denen man reden kann. An Material hat es mir wirklich nicht gefehlt.
DOMRADIO.DE: Als es "Habemus Papam" hieß und Papst Leo XIV. auf dem Balkon stand, haben Sie sich da gefreut, weil Sie über ihn schon so viel wussten?
von Kempis: Nein, ich habe gedacht: "Oh Gott, jetzt muss ich loslegen. Das wird schlimm." Gleichzeitig habe ich gedacht: "Das Gesicht kennst du aber. Klar, der war immer zwischen Petersplatz und Augustiner-Hauptquartier unterwegs, das direkt am Petersplatz ist. Da komme ich jeden Tag mindestens fünfmal durch, aber meistens mit der Zeitung in der Hand."
Vom Sehen ist der mir ein Begriff. Vielleicht haben wir uns auch mal zugenickt, aber ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte früher mal mit ihm gesprochen. Aber das Gesicht war mir bekannt, und jetzt habe ich ihn auch ein paar Mal gesehen, seit er Papst ist.
Ich habe mir ein bisschen angeguckt, wie er sich bewegt, wie er redet, habe viel gelesen, wie denkt er, wie er bisher aufgetreten ist, was er für Freunde hat und was die über ihn sagen. Dadurch bekommt man schon ein Bild von jemandem.
DOMRADIO.DE: Welche Vereinbarung gab es mit dem Patmos Verlag? Haben Sie gesagt, dass Sie eine Biografie schreiben, wenn Sie den neuen Papst kennen und wenn nicht, müsste es ein anderer machen?
von Kempis: Nein. Ich hätte auf jeden Fall über den neuen Papst geschrieben, egal, wer kommt, auch wenn es Bischof Bätzing geworden wäre. Wobei, Bätzing kenne ich schon. Das wäre sogar einfacher gewesen. Das gehört einfach zu den Voraussetzungen. Man kann ja nicht sagen, da ziehe ich mich jetzt erst mal zurück und meditiere.
Kein Mensch kommt völlig aus dem Nichts. Man kratzt sich das Material zusammen, das man finden kann. Ich habe versucht, nicht so eine Biografie zu schreiben, als wüsste ich schon ewig Bescheid über diesen Mann. Ich versuche die Menschen von Kapitel zu Kapitel mit reinzunehmen, so wie ich ihn kennenlerne und mehr über ihn erfahre. Das ist ein Prozess. Wir lernen ihn gemeinsam immer besser kennen – angefangen von dem Moment auf der Loggia des Petersdoms und mit dem, was man dann alles so hört und über ihn erfährt.
Es ist keine Biografie wie über Napoleon, bei der man sagt, man habe fünf Jahre in den Archiven gesessen und herausgekommen sei das Kondensat. Vielmehr ist es ein gemeinsames Hineingehen in diese Biografie des neuen Papstes hinein.
DOMRADIO.DE: Ihr Buch trägt den Untertitel: "Wer er ist, wie er denkt, was ihn und uns erwartet". Für welchen Teil mussten sie am ehesten investigativ werden?
von Kempis: Für die Biografie, denn was er hier in Rom gemacht hat, was er in seinen ersten Schritten als Papst gemacht hat und was ihn erwarten wird, das sehe ich hier um mich herum in Rom.
Ich kenne zwar die USA und Peru, aber in Chiclayo war ich noch nie. Zu dieser Stadt an der Küste im Norden von Peru musste ich sehr viel recherchieren und gucken, wie es da überhaupt aussieht. Was wohnen da für Leute? Was für eine Art Bischof war er da? Dafür musste ich sehr viel mit Weggefährten sprechen. Gott sei Dank sind davon gerade auch welche in Rom, die ein bisschen was erzählen können.
Die Schwierigkeit war aber eher, erstmal diese ganzen peruanischen Ordensfrauen loszuwerden, die ihn alle vielleicht mal als ein Pünktchen in der Ferne gesehen haben und die einem jetzt eine Stunde erzählen wollen, wie sie alle im Konvent gefeiert haben, dass ein Peruaner Papst wird. Man musste eher gucken, wie man an die richtigen Leute rankommt.
DOMRADIO.DE: Trotzdem lebt auch so ein Buch, eine Biografie von Geschichten. Haben Sie eine ausgegraben, die Sie selbst überrascht hat oder besonders berührt hat?
von Kempis: Ich finde es sehr berührend für mich, wie der Mann auf das Zusammenleben mit seinen Augustinern, mit den Brüdern in seinem Orden fixiert ist. Darum frage ich mich auch, wie das jetzt werden soll, wenn er als Papst ganz alleine in seiner Wohnung sitzt.
Die Augustiner – das hatte ich vorher auch nicht so auf dem Schirm – halten sehr viel von der Gemeinschaft. Da gibt es nicht nur Patres, da gibt es auch Brüder, wie auch in anderen Orden. Aber die haben alle genau dieselben Rechte. Auch ein Bruder stimmt überall mit, auf jedem Level und kann auch alles im Orden werden.
Das ist es, was diesen neuen Papst so attraktiv macht. Er ist ein Familientyp. Mit seinen Brüdern hängt er ständig am Telefon rum. Die hat er in seinen Sommerferien immer ausgiebig besucht. Ansonsten hat er sich sehr auf diese Gemeinschaft der Augustiner um ihn herum verlassen. Das hat er einfach gerne.
Er braucht Menschen um sich herum. Ich fand es sehr schön, diese Seite an ihm kennenzulernen.
DOMRADIO.DE: Am Montag erscheint Ihr Buch erstmal als E-Book und am 30. Mai die gedruckte Version. Werden Sie Papst Leo XIV. eins schenken?
von Kempis: Ich glaube schon. Wir lesen immer bei Generalaudienzen die deutschsprachigen Texte und Passagen vor. Das war bisher die Regel, das kann sich aber natürlich noch ändern. Das nächste Mal, wenn ich bei der Generalaudienz dran bin, bringe ich ihm vielleicht ein Buch mit.
Das Interview führte Heike Sicconi.