Ute Vogt im domradio: "Ziemlich beschämend" - Merkel geht auf Distanz

Druck auf Oettinger wächst

Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich von der umstrittenen Trauerrede (Wortlaut) des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) distanziert. Sie hätte sich gewünscht, dass im Blick auf die Gefühle der Opfer und Betroffenen auch die kritischen Fragen im Zusammenhang mit der Zeit des Nationalsozialismus zur Sprache gekommen wären. Die Vorsitzende der Südwest-SPD, Ute Vogt, nannte die Rede im domradio "beschämend".

 (DR)

Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger gerät wegen seiner umstrittenen Rede auf der Trauerfeier für den verstorbenen Ex-Regierungschef Hans Filbinger (beide CDU) zunehmend unter Druck. Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Fritz Kuhn, forderte Oettinger auf, die Rede zurückzunehmen. Der Schriftsteller Ralph Giordano verlangte sogar den Rücktritt des Ministerpräsidenten.

Die deutsch-französische Schriftstellerin Beate Klarsfeld erwartet nun von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Klarstellung zur Rolle Filbingers. Oettinger zeigte sich von der Kritik unbeindruckt. Seine Rede sei "ernst gemeint und bleibt so stehen", sagte er.

Oettinger hatte Filbinger am Mittwoch bei der Trauerfeier bescheinigt, kein Nationalsozialist, sondern vielmehr ein Gegner des NS-Regimes gewesen zu sein. Zu Filbingers Tätigkeit als Marinerichter im Zweiten Weltkrieg, die nach einer Veröffentlichung des Schriftstellers Rolf Hochhuth 1978 zum Rücktritt des damaligen Ministerpräsidenten führte, sagte Oettinger, es gebe kein Urteil Filbingers, durch das ein Mensch sein Leben verloren habe.

Kuhn betont, Oettinger betätige sich als "Geschichtsverdreher". Er verharmlose sowohl die Urteile des ehemaligen Marinerichters Filbinger, als auch die Nichtverarbeitung seiner Taten durch den ehemaligen Ministerpräsidenten Filbinger. "Herr Oettinger muss seine Äußerungen zurücknehmen", forderte Kuhn.

Giordano zeigte sich erschüttert über die Rede Oettingers. "Ich hatte einst Einblick in die Akte Filbinger und weiß, dass dieser Mann vielfach überführt ist, teil genommen zu haben an Todesstrafen, und was das Schlimmste dabei ist, selbst an einer, die noch nach der Kapitulation ausgesprochen wurde", sagte der Schriftsteller. Filbinger, der gesagt habe, "was damals Recht war kann heute nicht Unrecht sein, Absolution zu erteilen", halte er für eine "nicht für möglich gehaltene Ungeheuerlichkeit". Giordano fügte hinzu: "Wer so etwas sagt, steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und gehört nicht auf den Sessel eines Ministerpräsidenten."

Auch Hochhuth zeigte sich entsetzt über die Rede. Filbinger sei ein "sadistischer Kriegsverbrecher" gewesen. Er habe persönlich Hinrichtungen vollzogen. Es könne nicht sein, dass Oettinger "nicht wenigstens die ungefähre Wahrheit" gewusst habe.

Die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld verlangt in der Affäre ein klärendes Wort von Bundeskanzlerin Merkel. Sie sei nicht nur als CDU-Chefin zu einer Richtigstellung der Nazi-Vergangenheit Filbingers verpflichtet, sondern auch als amtierende EU-Ratspräsidentin, sagte Klarsfeld.

Nach dem Zentralrat der Juden in Deutschland hat auch der Ex-Vorsitzende der Deutschen Rabbinerkonferenz, Joel Berger, die Rede Oettingers scharf kritisiert. Der Stuttgarter Rabbiner warf Oettinger vor, die Verstrickung Filbingers in die Verbrechen des Nationalsozialismus bewusst zu verharmlosen. Er gehe davon aus, dass Oettinger die umstrittenen Passagen seiner Trauerrede nicht nur "herausgerutscht" seien. Vielmehr sollten sie dazu dienen, die rechtskonservative Klientel der Union zu bedienen.

Nach Informationen von "Spiegel online" haben Berater Oettingers vor der Trauerfeier unterschiedliche Varianten der Oettinger-Rede diskutiert. Dabei setzten sich im Stuttgarter Staatsministerium die Konservativen mit dem Lob für Filbingers angebliche Nazi-Gegnerschaft durch. Schließlich habe "ein sehr konservativer Mitarbeiter" die Rede geschrieben.