US-Gesundheitsreform: Präsident wirbt am Mittwoch vor dem Kongress für sein wichtigstes Politikvorhaben

Obama ergreift die Initiative

Die Ferien sind vorbei, die US-Politiker kehren in die Hauptstadt Washington zurück. Ganz oben auf ihren Schreibtischen liegen die dicken Akten zur Gesundheitsreform. Längst spaltet die Debatte über Präsident Barack Obamas Pläne die Nation. Der ergreift nun die Initiative, um sein wichtigstes innenpolitisches Vorhaben zu retten. Am Mittwoch spricht Obama zum Kongress und zur Nation.

Autor/in:
Konrad Ege
 (DR)

Rund 50 Millionen der 300 Millionen US-Amerikaner haben keine Krankenversicherung. Mehr als 100 Millionen stehen ohne Versicherung für den Zahnarzt da. Einer Studie der Stiftung «Kaiser Family Foundation» zufolge handelt es sich um ein Problem, das zunehmend auch die Mittelklasse betrifft. Die Hälfte der befragten «Mittelklassenangehörigen» gab danach an, dass ein Familienmitglied aus finanziellen Gründen nicht zum Arzt gegangen sei oder Untersuchungen und Behandlungen aufgeschoben habe.

Reformen ja - aber nicht so
Neueste Umfragen machen deutlich, warum der Präsident am Mittwoch vor dem Kongress reden will: Nach einer CNN-Befragung sagen 91 Prozent der US-Bürger, im Gesundheitswesen seien Veränderungen oder gar «große Veränderungen» nötig. Doch nur ein Fünftel erklärte, die gegenwärtig debattierten Gesetzesänderungen würden helfen. Dieses Resultat wundert Experten nicht, denn die Gesetzesvorlagen sind überaus kompliziert. Nach einer Umfrage des Senders CBS kritisierten zwei Drittel der US-Bürger die Reformideen als verwirrend.

Obamas Probleme gelten vielen Fachleuten als hausgemacht: Der Wahlkämpfer Obama hatte 2008 eine ehrgeizige Gesundheitsreform in Aussicht gestellt: Regulierung der marktdominierenden privaten Versicherungsfirmen, eine bezahlbare Krankenversicherung für alle, Einführung einer staatlichen Krankenversicherung als Ergänzung. Als Präsident gab Obama dann nur die Ziele vor und ließ dem Kongress freie Hand bei der Ausarbeitung der Details - wohl in der Hoffnung auf eine von Demokraten und Republikanern gemeinsam getragene Reform.
Republikaner geschlossen dagegen
Zustande kamen jedoch ein telefonbuchdicker Gesetzesentwurf im Repräsentantenhaus ohne republikanische Unterstützung und daneben mehrere Versionen im US-Senat. Der entscheidende Finanzausschuss im Senat wollte nach Angaben seines Vorsitzenden Max Baucus am Dienstag einen neuen Entwurf vorlegen.

Im August war die Gesundheitsreform aus unterschiedlichen Richtungen unter Beschuss geraten. Die Republikaner sagten fast geschlossen Nein. Lärmende rechtsideologische Gegner machten auf Websites, in Talkshows und in Bürgerveranstaltungen mit Abgeordneten und Senatoren mobil. Sie warfen Obama vor, Gesundheitsversorgung auf Kosten der Alten und Behinderten «rationieren» und den Sozialismus einführen zu wollen. Besonders umstritten ist die zur Diskussion gestellte staatliche Versicherung.
"Debatte um Todesgremien"
An die Spitze dieser teils abstrusen Kritik stellte sich die ehemalige republikanische Kandidatin um das Amt des Vizepräsidenten, Sarah Palin. Sie sprach von angeblich geplanten «Todesgremien» (death panels), die entscheiden sollten, bei wem sich die Behandlung noch lohne. Ihre alten Eltern und ihr Baby mit Down-Syndrom, so argumenierte sie, würden diesen Kriterien wohl nicht genügen.

Doch längst ist auch Obamas Demokratische Partei gespalten und steht nicht mehr geschlossen hinter ihm. So haben die Demokraten gute Freunde in der Industrie, doch besonders der liberale Flügel klagt, Obama gehe nicht weit genug und seine Pläne seien zu unspezifisch.

Kommt ein "Obama-Entwurf"?
Gesetze werden in den USA mit Zustimmung des Repräsentantenhauses und des Senats beschlossen. Im Repräsentantenhaus haben die Demokraten eine große Mehrheit; im Senat stellen sie 59 der 100 Mitglieder. Etwa ein Dutzend demokratische Senatoren betrachten das Konzept der staatlichen Versicherung mit Skepsis und warnen vor zu hohen Kosten. Nach den Regeln des Senats kann eine Minderheit von 40 Senatoren Abstimmungen verhindern.

Bill Moyers, ehemals Pressesprecher des demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson (1963-69), rügte im Fernsehsender HBO, Obama kämpfe nicht genug. Johnson hatte 1965 trotz heftigen Widerstands «Medicare» eingeführt, die noch immer hochgelobte staatliche Versicherung für Senioren. Obama gehe zuviele Kompromisse ein, statt einfach zu sagen, dass die USA als «anständige» Nation eine umfassende Krankenversicherung brauche, so Moyers. Daher hätten nun die «seit acht Jahren verrufenen Konservativen» den Rahmen der Debatte festgelegt.

Am Wochenende mehrten sich Spekulationen unter Berufung auf Regierungskreise, Obama werde bei seiner Rede am Mittwoch womöglich einen eigenen Entwurf zur Gesundheitsreform vorstellen. Danach gingen die politischen Debatten wohl munter weiter.