US-Evangelikale gegen Schulunterricht über Umweltzerstörung

"Nicht diese Al-Gore-Propaganda!"

Von der Kritik gelobt, die Klima-Diskussion belebt, an den Kinokassen erfolgreich und nun für den Oscar nominiert: "Eine unbequeme Wahrheit" war bislang eine einzige Erfolgsgeschichte für Al Gore. Doch nun regt sich Widerstand. Evangelikale Christen in den USA wollen verhindern, dass ihre Kinder den Dokumentarfilm sehen. Und haben ihre ganz eigene Erklärung für den Klimawandel.

 (DR)

"Unsere Nation - die größte Nation"
Die in der Schule eingehende E-Mail ließ an Deutlichkeit und Aggressivität nichts vermissen, trotz der gestelzten Satzkonstruktion: "Nein, Sie werden meinem Kind nicht dieses Al-Gore-Propagandisten-Video zeigen oder unterrichten, das unsere Nation - die größte Nation, die je auf diesem Planeten existiert hat - für die globale Erwärmung verantwortlich macht."

Gemeint war der auch in Deutschland erfolgreiche Dokumentarfilm "Eine unbequeme Wahrheit", der vor katastrophalen Folgen von Klimawandel und Umweltzerstörung warnt. Die zuständige Schulbehörde im Bundesstaat Washington reagierte prompt: Verschreckt setzte sie die Filmvorführung in Schulen von Seattle und Umgebung im Rahmen des naturwissenschaftlichen Unterrichts ab. Nach Protesten gegen diese Zensur in vorauseilendem Gehorsam gab sie den Film schließlich aber doch frei. Zumal der Film Al Gores, der bei den Präsidentschaftswahlen nur hauchdünn gegen George W. Bush gescheitert war, mittlerweile für einen Oscar nominiert ist.

Doch die Oscar-Nominierung hat den Briefeschreiber Frosty Hardiman, der sich selbst als evangelikaler Christ bezeichnet, nur in seiner Aktion bestärkt. Äußerte er doch die Überzeugung, dass "die liberale Linke Hollywood fest im Griff hat". Die Auseinandersetzung in Seattle ist kein Einzelfall. Auch in anderen Teilen des Landes ziehen evangelikale Eltern gegen eine Vorführung des Dokumentarfilms zu Felde und hoffen, dass es ihnen gelingt, die Problematik des Klimwandels ebenso aus den Klassenzimmern zu verbannen wie die missliebigen Themen Sexualkunde und Evolutionslehre - beide Komplexe liegen seit langem im Fadenkreuz fundamentalistischer Christen in Amerika.

Erneute Debatte - um Grundsätzliches
Nebenbei tragen diese Debatten auch dazu bei, die in den USA momentan rege Diskussion über Klimawandel erneut zu beleben und die ideologischen - oder religiösen - Gegensätze neu hervorzuheben, die das Land in dieser wie auch in wichtigen anderen Fragen teilen: vom Irakkrieg über die Einwanderung bis zur Abtreibungsproblematik. Dass aber selbst Präsident Bush in seiner Ansprache zur Lage der Nation am Dienstagabend zum ersten Mal von Klimaveränderungen und -schutz sprach, könnte zumindest bei der politischen, wenn auch nicht bei der religiösen Rechten ein Umdenken einleiten.

In Seattle jedenfalls wird der Film Al Gores nun wieder gezeigt, andere Schulen haben diese Auseinandersetzung noch vor sich. Dabei stehen Amerikas evangelikale Christen in dieser Frage keineswegs mehrheitlich hinter Fundamentalisten wie dem E-Mail schreibenden Hardiman. Verschiedene Kirchensprecher warnen vor einer Bedrohung der göttlichen Schöpfung durch menschliche Emissionen. Führende evangelikale Kirchenführer starteten in der vergangenen Woche gemeinsam mit prominenten Klimaforschern eine Initiative gegen die globale Erwärmung und forderten in einem Offenen Brief Präsident Bush dazu auf, mehr für den Umweltschutz zu tun. "Gott wird uns für die Zerstörung der Schöpfung verantwortlich machen", betonte der Sprecher der einflussreichen Nationalen Evangelikalen-Vereinigung, Rich Cizik.

Hardliner wie Hardiman jedoch, denen die Wahrheiten von Gore und Klimawissenschaftlern zu unbequem sind, sehen die die Aufwärmung des Planeten nicht als Bedrohung. Im Gegenteil. Sie verstehen diese positiv: als "eines der Zeichen" der bevorstehenden Wiederkehr Christi.