Uni Erfurt eröffnet Kolleg über Religionen in Minderheitenlage

Forscherblick auf Diasporakirchen

Die Universität Erfurt profiliert sich weiter durch ihren Themenschwerpunkt Religion. Zum Wintersemester hat dort ein neues Theologisches Forschungskolleg über Kirchen in Minderheitenlage seine Arbeit aufgenommen. Dessen Leiter, der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann, erläutert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) das Konzept. Heute wird das Kolleg feierlich eröffnet.

 (DR)

KNA: Herr Professor Kranemann, Sie nennen das neue Forschungskolleg bundesweit einmalig. Warum?
Kranemann: Es gibt zwar bereits vergleichbare theologische Einrichtungen zum Beispiel in Freiburg im Breisgau und in Münster. Das Besondere und Neue in Erfurt ist jedoch, dass außer Doktoranden auch bereits etablierte Wissenschaftler als sogenannte Fellows auf Zeit mitarbeiten.

KNA: Was werden sie erforschen?
Kranemann: Es ist vor allem die Situation von Glaube und Kirche in Minderheitensituationen, wie sie ja unter anderem für Ostdeutschland typisch sind. Diese wollen wir historisch wie gegenwartsbezogen in den Blick nehmen, dabei natürlich über Deutschland und Europa hinaus in die heutige Weltkirche schauen. Dann könnten beispielsweise auch christliches Gemeindeleben und Theologie in islamischen Ländern einmal zum Thema werden.

KNA: Auf welche Einzelfragen soll das Kolleg neue Erkenntnisse bringen?
Kranemann: Zum Beispiel, wie die jeweilige Ortskirche mit Theologie und Glaubensunterweisungen, mit ihren Strukturen und Pastoralprogrammen auf die Diasporasituation reagiert. Oder wie sich Liturgie und kirchliche Feierkultur in diesem Rahmen entwickeln. Dafür gibt es in Ostdeutschland schon eine ganze Reihe von interessanten Versuchen, weltkirchlich natürlich noch mehr, was die Untersuchung lohnt, aber bislang zu wenig Beachtung findet. Man kann auch an das Verhältnis von Klerikern und Laien denken, für das sich einer Diasporakirche neue Fragen stellen. Im Grunde sind alle Felder berührt, auf denen die Kirche auf ein gesellschaftliches Umfeld reagieren muss, in dem sie nur eine Minderheit oder gar Splittergruppe ist.

KNA: Wie ist das Kolleg angebunden und finanziert?

Kranemann: Es ist eine Einrichtung an der Universität Erfurt, die mit der Katholisch-Theologischen Fakultät eng vernetzt ist. Das Kolleg wird aus Drittmitteln eines Sponsors für die nächsten vier bis fünf Jahre finanziert. Wir wollen weitere Forschungsprojekte an das Kolleg anbinden, für die ebenfalls Fördermittel eingeworben werden sollen.

KNA: Wieviele Wissenschaftler sind bereits mit Forschungen beschäftigt?
Kranemann: Zurzeit haben wir bereits ein Doktorandenkolleg mit fünf Teilnehmern, das ausgebaut wird. Im kommenden Sommersemester erwarten wir die ersten renommierten Gastwissenschaftler, die zukünftig vor allem auch aus anderen Ländern kommen sollen. Wir wollen insbesondere Forscher aus dem Westen und Osten Europas zusammenführen. Fest steht bereits als erster Fellow der emeritierte Tübinger Dogmatiker Peter Hünermann, der sich mit den Besonderheiten der Theologie in Ostdeutschland beschäftigen wird.

KNA: Sie wollen die überkommenen theologischen Debatten erweitern. Was heißt das?
Kranemann: Die Theologie könnte sich noch weit mehr als bisher anfragen und bereichern lassen durch andere Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften. Auch müsste die Theologie gegenüber diesen Wissenschaften viel stärker ihre Themen, Fragen und Quellen ins Spiel bringen, man denke nur an Forschungen über Fest, Gedächtnis, Sakralität und Rituale. Da hat die Theologie Wesentliches beizusteuern, doch beispielsweise in den Kulturwissenschaften wird sie derzeit kaum gehört, sie bringt sich aber auch zu wenig zu Gehör..

KNA: Was kann das Kolleg für die kirchliche Praxis bringen?
Kranemann: Es sollte zu Fragen, denen die christlichen Kirchen zumindest in Westeuropa heute nicht mehr ausweichen können, Stellung nehmen. Und ein Diskussionsforum für Theologen aus Ortskirchen verschiedener Länder und Kontinente, aber auch zwischen Kirchenvertretern und Wissenschaftlern werden. Damit würde es zudem den Forschungsschwerpunkt Religion an der Universität Erfurt bereichern und ausbauen helfen.

Das Interview führte Gregor Krumpholz.