Die Gefahr von Rüstungsexporten aus Deutschland

"Unheimlich viele Schlupflöcher"

Vom Export von Pistolen und Munition geht eine große Gefahr für Menschen und insbesondere Kinder aus. Das besagt eine Studie der Hilfswerke "Brot für die Welt" und "terre des hommes". Die Waffen kommen auch aus Deutschland in die Kriegsländer.

Kindersoldat im Kongo / © Maurizio Gambarini (dpa)
Kindersoldat im Kongo / © Maurizio Gambarini ( dpa )

DOMRADIO.DE: Deutsche Waffen in Händen von Kindersoldaten. Welches Ausmaß hat das Problem?

Silke Pfeiffer (Leiterin des Referats "Menschenrechte und Frieden", Brot für die Welt): Deutschland gehört seit Jahrzehnten zu den größten Rüstungsexporteuren weltweit und in fast allen gewaltsamen Konflikten kommen deutsche Waffen zum Einsatz. Die Vereinten Nationen veröffentlichen jährlich eine sogenannte Liste der Schande und auf dieser Liste stehen Länder, in denen schwere Kinderrechtsverletzungen wie z.B. Zwangsrekrutierungen in bewaffneten Konflikten vorkommen.

Fakt ist: An mindestens acht der 20 Länder, die auf dieser Liste stehen, exportiert Deutschland Waffen wie Pistolen, Munition und so weiter. Wir reden hier über Länder wie Afghanistan, Irak, Indien, die Philippinen. Das sind Länder, in denen Kinder mit oder durch deutsche Waffen umkommen.

DOMRADIO.DE: Welche Folgen hat das?

Pfeiffer: Wir können mal in den Jemen schauen. Eine der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit, der Jemen-Krieg, ist allen, denke ich, ein Begriff. Dort kämpft eine von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeführte Militärkoalition. Und an neun Länder dieser Koalition wurden in den letzten Jahren Waffen-Rüstungsexporte in der Höhe von vier Milliarden Euro geliefert.

Die Vereinten Nationen haben im Jemen-Krieg über 3500 Fälle von sehr schweren Kinderrechtsverletzungen dokumentiert. Das sind zum einen die Zwangsrekrutierungen, aber es ist auch der Fall, dass Kinder getötet werden im Zusammenhang mit bewaffneten Kampfhandlungen, dass Kinder verstümmelt werden, dass Schulen bombardiert werden und so weiter. Das macht das Ausmaß deutlich.

DOMRADIO.DE: Dabei gibt es in Deutschland eine Rüstungsexport-Kontrolle und auch eine Endverbleibskontrolle. Die sollen sicherstellen, dass Waffen nicht in Konfliktgebiete gelangen, auch nicht über Drittstaaten oder Drittakteure. Warum scheint das nicht zu funktionieren?

Pfeiffer: Das, was streng ist, die sogenannten Richtlinien oder die politischen Grundsätze, haben nicht die Form von Gesetzen. Das heißt, sie sind nicht justiziabel, man kann sie nicht einklagen. Die Gesetze, die es gibt, sind extrem komplex und sehr lückenhaft. Es gibt also unheimlich viele Schlupflöcher.

So finden zum Beispiel Endverbleibskontrollen nicht systematisch statt. Sie sind auch nicht verpflichtend. Das führt dazu, dass viele der Waffen, die zum Beispiel in NATO-Staaten - wie in die USA, also einen der größten Waffenexport-Empfänger Deutschlands -, geliefert werden, aus diesen Ländern weitergeleitet werden. Es gibt also keine verpflichtenden Endverbleibskontrollen.

In den Jahren 2014 bis 2019, das ist der Zeitraum, den wir uns in der Studie anschauen, hat es zum Beispiel lediglich acht Endverbleibskontrollen gegeben. Das bedeutet, diese Waffen werden weitergeleitet und landen dann in den Händen von Kindersoldaten in Ländern wie den Philippinen oder auch Kolumbien.

DOMRADIO.DE: 2019 hatte die Bundesregierung neue Richtlinien zur Ausfuhr von Rüstungsgütern beschlossen. Hat das gar nichts gebracht?

Pfeiffer: Das sind eben Richtlinien und keine Gesetze. Von daher sind sie nicht justiziabel. Es ist gut, dass es sie gibt. Aber wir brauchen ein Rüstungsexport-Kontroll-Gesetz, damit diese Inhalte auch eingeklagt werden können.

Eines der Inhalte dieser neuen Richtlinien ist beispielsweise das Exportverbot von Kleinwaffen. 300.000 Menschen sterben jährlich durch Kleinwaffen. Tatsächlich ist der Export von Kleinwaffen in sogenannte Drittstaaten zurückgegangen. Allerdings schließt das eben nicht die Weiterleitung von Pistolen zum Beispiel ein. In Brasilien hat es den Kauf von 21.000 deutschen Pistolen gegeben, importiert über die USA. Das heißt, wir haben hier gute Richtlinien, die aber nicht umgesetzt werden.

DOMRADIO.DE: Sie führen in Ihrem aktuellen Bericht auch auf, dass Waffengeschäfte mit deutschen Steuergeldern gefördert werden. Wie kann das denn sein?

Pfeiffer: Ja, hier beziehen wir uns auf die sogenannten Hermes-Bürgschaften. Das sind Bürgschaften, mit denen der deutsche Staat Exporte absichert für den Fall, dass die Deals scheitern und das Geld nicht kommt. Und da hat es in der Vergangenheit auch immer wieder Absicherungen durch den deutschen Staat für Exporte in Kriegsländer gegeben.

DOMRADIO.DE: Was fordern Sie von der Politik angesichts all dessen?

Pfeiffer: Wir brauchen ein Rüstungsexport-Kontroll-Gesetz, das Rüstungsexporte in kriegsführende Länder verbietet, sowie in Länder, in denen es schwere Menschenrechts- und Kinderrechtsverletzungen gibt. Wir brauchen systematische und verpflichtende Endverbleibskontrollen. Wir brauchen viel mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht im Rüstungsexportgeschäft. Das entzieht sich augenblicklich fast komplett der parlamentarischen Kontrolle.

Zudem dürfen wir auch die Unternehmen nicht aus der Verantwortung ziehen. Wir brauchen ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen dazu verpflichtet, die menschenrechtlichen Risiken ihrer Geschäfte abzuwägen und zu berücksichtigen, und durch das sie auch zur Verantwortung gezogen werden.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR