Umfassendste Ausstellung über NS-Zwangsarbeit

Geschichte eines Verbrechens

Die bislang umfassendste Ausstellung über Zwangsarbeit in der NS-Zeit ist nun im Jüdischen Museum Berlin zu sehen. Diese zeigt erstmals die gesamte Geschichte dieses Verbrechens an mindestens 20 Millionen Menschen und die Folgen nach 1945. Die nach Recherchen in mehreren europäischen Ländern für knapp fünf Millionen Euro entwickelte Ausstellung wurde am Montag von Bundespräsident Christian Wulff eröffnet.

 (DR)

Anlass ist das zehnjährige Bestehen der von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Zwangsarbeiter-Stiftung, die das Vorhaben finanziert hat. Die 900 Quadratmeter umfassende Ausstellung ist bis Ende Januar in Berlin zu sehen und soll anschließend auch in anderen Städten gezeigt werden. Erste Station wird voraussichtlich Warschau sein. Die Wanderausstellung entstand unter der Federführung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.



Bundespräsident Wulff bezeichnete die Ausstellung als große Herausforderung, angemessen mit der historischen Erinnerung und Aufarbeitung der unterschiedlichen Arten von Zwangsarbeit umzugehen.



Reflektierte Geschichte könne zeigen, wo die Menschheit in der Vergangenheit Irrwege gegangen ist, sagte Wulff. Auch ohne die Generation der Zeitzeugen müsse künftig das Gedenken an die beispiellosen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wachgehalten werden.



Den Kern der Ausstellung bilden über 60 repräsentative Schicksale von Zwangsarbeitern. Zu sehen sind rund 450 Fotos und über 500 Dokumente, darunter Arbeitsbücher und Werksausweise. Videobildschirme und Hörstationen lassen zahlreiche ehemalige Zwangsarbeiter zu Wort kommen.



Zentrale These der Ausstellungsmacher um den Buchenwalder Gedenkstätten-Direktor Volkhard Knigge ist, dass die Zwangsarbeit mit der Machtübernahme der Nazis 1933 "Teil der rassistischen Gesellschaftsordnung" war und als "Instrument der Ausgrenzung und Verfolgung" ganzer Bevölkerungsgruppen in den Folgejahren ständig ausgeweitet wurde. "Jeder Deutsche ist ihnen begegnet", heißt es im Begleitband.



Eingesetzt wurden Zwangsarbeiter vor allem in der Landwirtschaft, auf Baustellen, in Rüstungsbetrieben, im Handwerk und in Privathaushalten. Spätestens ab 1942 habe es sich um ein "Massenphänomen" gehandelt. So gab es beispielsweise in München über

400 und in Berlin über 700 Lager und Privatunterkünfte für zwangsweise rekrutierte Menschen aus der Sowjetunion und sowjetische Kriegsgefangene ("Ostarbeiter"), Polen, Franzosen und andere.



Die Ausstellung widmet auch einen Teil dem "Langen Weg der Anerkennung" der Zwangsarbeit als Verbrechen. So erhielten erst zwischen 2001 und 2007 rund 1,7 Millionen Betroffene Hilfsgelder zwischen wenigen hundert und mehreren tausend Euro aus Deutschland. Dazu zahlten die deutsche Wirtschaft und der deutsche Staat rund 5,2 Milliarden Euro in die Zwangsarbeiter-Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Viele ehemalige Opfer weigerten sich aber, eine damit verbundene Erklärung über den Verzicht auf weitere Ansprüche zu unterzeichnen. Andere, wie etwa ehemals italienische Kriegsgefangene, warten noch heute auf eine symbolische Entschädigung.



Einer Mitte September veröffentlichten Umfrage der Stiftung zufolge wird das Ausmaß der Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus von den meisten Deutschen noch unterschätzt. Nur ein knappes Fünftel (19 Prozent) sei sich bewusst, dass zwischen 1933 und 1945 im "Großdeutschen Reich" mehr als 13 Millionen Menschen zur Arbeit gezwungen wurden, mindestens weitere sieben Millionen Zwangsarbeiter waren in den besetzten Gebieten im Einsatz. Allein im Reichsgebiet starben in der NS-Zeit etwa 2,7 Millionen Zwangsarbeiter an den Folgen der Arbeitsbedingungen, Hunger, Mord, unzureichenden hygienischen Bedingungen und durch Misshandlungen.



Die Ausstellung "Zwangsarbeit: Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg" ist im Jüdischen Museum Berlin bis zum 30. Januar täglich von 10 bis 20 Uhr, montags bis 22 Uhr, zu besichtigen.