Um das einstige Kloster der heiligen Hildegard von Bingen ist ein skurriler Streit entbrannt

Verhärtete Fronten am Disibodenberg

In Rheinland-Pfalz beschäftigen ein Museum ohne Strom, defekte Kassenautomaten und verschlossene Toiletten derzeit Ministerien und Parlament. Kein Wunder - es geht um die Ruine Disibodenberg, wo einst die populärste Heilige der Deutschen lebte.

Autor/in:
Karsten Packeiser und Marlene Grund
Eine Figur der Hildegard von Bingen (dpa)
Eine Figur der Hildegard von Bingen / ( dpa )

Der Disibodenberg, einer der sanften Hügel im Nahetal, war 38 Jahre lang die Heimat der Hildegard von Bingen (1098-1179). Vor den Mauerresten des ehemaligen Frauentraktes, ihrem Wohnort, wachsen heute Rosen - die einzigen auf dem Gelände.
Ansonsten haben die Bäume die Bergkuppe mit den Fragmenten der beeindruckenden Klosteranlage zurückerobert. Sie ragen in der ehemaligen Abteikirche auf, deren Grundriss erhalten wurde, im Hospiz und Kreuzgang, im Versorgungs- und Laientrakt und der Laienkappelle.

Der Besucher findet heute einen Erinnerungsort vor, der vor allem die Vergänglichkeit allen menschlichen Tuns ins Bewusstsein bringt. Das ruft beim Gang durch die Ruinen des Klostergeländes ein Gefühl der Melancholie hervor - und Verdruss, weil auch das Museum geschlossen und das Eingangstor mit Kassenautomat außer Betrieb ist. Dem Eindruck, dass etwas mit den Toilettenanlagen nicht stimmt, kann sich ebenfalls kein Gast des Disibodenbergs verschließen.

Im Nahetal wird seit mehr als anderthalb Jahren darüber gestritten, wie sich das in Privatbesitz befindliche Klostergelände Touristen und Pilgern präsentieren sollte. Die Fronten zwischen den Akteuren sind mittlerweile verhärtet. "Ich darf keine Führungen mehr auf dem Berg anbieten", erzählt Manfred Geib, zweiter Vorsitzender des Fördervereins. Kurz vor der für 7. Oktober vorgesehenen Erhebung der populären Heiligen zur Kirchenlehrerin ist die Hildegard-Ruine auch in der Landeshauptstadt Mainz zum Politikum geworden.

Stiftung überfordert
Die zum Erhalt des Geländes und zur Einrichtung eines Museums von der Eigentümer-Familie gegründete private "Scivias-Stiftung" ist offenkundig mit ihrer Aufgabe überfordert, und sie räumt das auch ein. Bereits 2011 wurde das mit gut 300.000 Euro Landesmitteln gebaute Besucherzentrum geschlossen, weil die Stiftung kein Geld mehr für eine Aufsicht hatte. Das Verhältnis zwischen Lokalpolitik, dem örtlichen Förderverein und dem Stiftungsvorstand ist zerrüttet. Für zusätzliche Aufregung sorgte zuletzt die Nachricht, dass der "Scivias"-Vorstand das Grundstück mit dem Museum an die Vorstandsfamilie, also an sich selbst, zurückübertragen hatte.

"Wenn man öffentliche Gelder mit Zweckbindung bekommt, kann man doch nicht einfach sagen: Das ist jetzt alles meins", ärgert sich die örtliche Landtagsabgeordnete Bettina Dickes (CDU). Die Ereignisse legten die Vermutung nahe, dass die Familie, die neben dem offiziellen Touristeneingang ein Weingut betreibt, kein Interesse mehr an Besuchern habe. Stiftungsvorstand Matthias Adams dementiert dies. Auf Nachfrage erklärte er, die "Scivias-Stiftung" wolle sanften Tourismus auf dem Berg, habe kein Geld für eine Aufsicht und könne das Museum deshalb nicht weiterbetreiben. Der Grundstücksverkauf habe zurückabgewickelt werden müssen, weil die Verträge unwirksam gewesen seien.

Bei Christen wie Esoterikern gleichermaßen beliebt
Inzwischen prüft die Stiftungsaufsicht in Trier dieses Vorgehen. Das Land könnte wegen der undurchsichtigen Verhältnisse seine Zuschüsse zurückfordern. Falls dies geschehen würde, wäre die Stiftung wohl zahlungsunfähig. Kulturstaatssekretär Walter Schumacher muss Kritik der Opposition abwehren, er sei zu lange untätig geblieben. Er bemüht sich nach eigenen Angaben um ein neues Vermittlungstreffen, bei dem die Wiedereröffnung des Besucherzentrums keine kategorische Vorbedingung vonseiten des Landes ist. "Ich will mich da nicht festlegen", sagt er. "Das allerwichtigste ist doch, das jedermann auf den Disibodenberg gehen kann."

Ein Besuch der bei Christen wie Esoterikern gleichermaßen beliebten Ruine ist in der Tat bis heute kein Problem. Die meisten Einheimischen kennen ohnehin die Schleichwege, auf denen Besucher am defekten Kassenautomaten vorbei auf das Gelände gelangen können. Dort stehen längs des Rundwegs um die vor 1.000 Jahren gegründete Klosteranlage Tafeln mit Gedanken der berühmten Mystikerin: "Hüte dich, das Gute im Geist oder im Werk so zu tun, als stamme es von dir. Schreibe es vielmehr Gott zu, von dem alle Kräfte ausgehen wie Funken vom Feuer."