Ulrich Woelk über seinen Roman "Nacht ohne Engel"

Ohne Engel können wir nicht leben

Politisch engagiert. Wild entschlossen, frei und glücklich zu sein. Das Leben als ein großes Abenteuer. So blickten die jungen Studenten im Berlin der frühen achtziger Jahre auf die Welt. In seinem Roman "Nacht ohne Engel" läßt Ulrich Woelk einen knapp Fünfzigjährigen auf diese Zeit zurückblicken.

Ulrich Woelk / © Bettina Keller
Ulrich Woelk / © Bettina Keller

"Der Engel ist ein Zwischenwesen zwischen den Sphären – und dem Menschen sehr nahe", sagt Ulrich Woelk im domradio.de Interview. "Der Engel ist auf eine bestimmte Weise auch Mensch und das bringt mir den Engel als mythologische Figur nahe". In dem Roman "Nacht ohne Engel" hilft so ein menschlicher Engel dem Romanhelden Vincent nach einem schweren Unfall wieder auf die Beine. Zunächst ganz selbstlos, ganz ohne Berechnung oder vordergründigen Nutzen, sondern allein aus Liebe. "Engel sind für mich diese Menschen, die auf einmal für einen da sind und einem, wenn man denkt, es geht gar nicht mehr weiter, irgendwie einen Weg weisen", ist Woelk überzeugt.

"Was ist aus uns geworden"

Vincent ist Taxifahrer in Berlin, ein Intellektueller, der in den achtziger Jahren gegen Nato-Doppelbeschluss und Atomkraftwerke gekämpft hat. Er ist fast fünfzig Jahre alt. Ulrich Woelk sieht ihn jetzt aber nicht als einen gescheiterten Menschen, sondern eher als einen durchaus zufriedenen, keineswegs mit seinem Schicksal hadernden Geist. "Er ist jemand, der seine Ansprüche hatte – diese politischen Ansprüche, auch die Ansprüche an das eigene Leben", beschreibt der Autor seinen Helden: "Er wollte Künstler werden, wollte sich verwirklichen, nicht einfach nur einer Masse hinterherlaufen, sondern wirklich etwas Wesentliches tun". Dann sei es aber anders für ihn weiter gegangen, so dass er Taxifahrer geworden sei, aber kein gescheiterter Mensch. Vincent lebt sein Leben, bis eine Frau rein zufällig zu ihm ins Taxi steigt, die er kennt, die er vor Jahren geliebt hat. Mit Jule, so heißt die Frau, verband ihn eine kurze, innige Beziehung. Ein zufälliges Wiedersehen nach vielen Jahren. Die beiden haben sich geliebt und dann aus den Augen verloren. Jetzt fragen sie sich, was ist aus uns geworden? "Diese Konstellation bietet für mich alle Möglichkeiten, diese Dinge zu beschreiben", sagt Ulrich Woelk.

Jule und Vincent leben in ganz anderen beruflichen Welten. Vincent ist Taxifahrer. Jule hat Karriere gemacht. "Sie arbeitet in einem erfolgreichen Wirtschaftsinstitut und ist gesellschaftlich sehr hoch gestiegen und hat damit natürlich – und das reizt mich an den beiden Figuren – sie hat damit genau das Gegenteil von dem gemacht, was Vincent gemacht hat. Während Vincent eher in seinen eigenen Ansprüchen geblieben ist und Taxi fährt, ist sie, die damals gar nicht so genau wußte, was sie machen sollte, karrieremäßig abgegangen", sagt Ulrich Woelk.

Wir brauchen Engel in Menschenform

So geht es in dem Roman von Ulrich Woelk auch um Lebensentwürfe und um die Frage nach dem gelungenen Leben. Vincent hat eine fast erwachsene Tochter. Sie steht etwas verloren im Leben. Ihre Jugend unterscheidet sich von der Jugend der heute Fünfzigjährigen himmelweit. "Die Welt hat sich geändert. Wir haben damals die Dinge sehr ernst genommen. Wir hatten die Nato-Nachrüstung. Wir hatten ganz reale Angst, es könnten wirklich die Atombomben gezündet werden", beschreibt Ulrich Woelk das Lebensgefühl in den Achtzigern. "Ich habe selbst an einer Menschenkette über die schwäbische Alp teilgenommen. Wir haben diese Form des Protestes sehr ernst genommen, weil wir glaubten, wir könnten damit etwas bewirken". Diesen kämpferischen Idealismus, dieses leidenschaftliche politische Engagement gibt es heute nicht mehr. "Wenn wir heute politisch etwas bewirken wollen, stehen wir schnell davor zu sagen, es ist so komplex, wir schaffen das nicht und damit muss die Generation von heute ja auch fertig werden", sagt der Autor. Wie kann das gelingen? Wie kann man in einer immer komplexer werdenden Welt mit den privaten und politischen Herausforderungen fertig werden? Ulrich Woelk erzählt in seinem Roman humorvoll und einfühlsam von Menschen, die auch nach Trost suchen in einer gewissen transzendentalen Obdachlosigkeit. Aber es gibt Trost, und es gibt Hilfe, die Hilfe der Engel. "Es ist mir einfach ein Bedürfnis zu zeigen, dass wir ohne diese Engel gar nicht mehr leben können", ist Woelk überzeugt. "Wir brauchen diese Engel in Menschenform, die uns helfen".