Ulla Hahn über "Wir werden erwartet"

"Aus dem Ballast der Vergangenheit Proviant machen"

"In meinem Leben sind mir immer wieder säkulare Schutzengel begegnet", erzählt Ulla Hahn auf domradio.de. Einem dieser Schutzengel setzt sie in ihrem neuen Roman "Wir werden erwartet" ein Denkmal. Ihren katholischen Heimatpfarrer nennt die Autorin einen "Glücksfall in meinem Leben".

Ulla Hahn / © Johannes Schröer (DR)
Ulla Hahn / © Johannes Schröer ( DR )

Pfarrer Kreuzkamp heißt der katholische Priester aus Monheim in dem Roman. Er gibt der Romanheldin Hilla Palm halt, als die Studentin ihren geliebten Freund Hugo durch einen Autounfall verliert. Der sensible Pfarrer schafft es, sie aus ihrer maßlosen Trauer herauszuholen.

Hilla Palm ist die zentrale Figur in den Romanen von Ulla Hahn. Die Autorin sagt, sie habe sich mit ihrer Romanheldin eine Tarnkappe übergestreift, um auf der Suche nach ihrer eigenen Vergangenheit eine größere Freiheit zu haben. Denn weite Teile der umfangreichen Romantetralogie sind autobiografisch geprägt. Im abschließenden vierten Buch mit dem Titel "Wir werden erwartet" fragt Ulla Hahn, wie konnte es möglich sein, dass ich einst Mitglied der kommunistischen Partei DKP werden konnte.

Hilla Palm sucht den Sinn des Lebens

Der Roman beginnt mit einem ungeheuren Einbruch. Hillas ein und alles geliebter Hugo stirbt bei einem Autounfall. Jener Hugo, der ihr auch geholfen hat, ihren Weg aus einer einfachen Arbeiterfamilie hinaus in die Welt zu finden. "Es gab ja sehr wenig Ermutigung", sagt Ulla Hahn, "von den Eltern gab es die nicht, die konnten mit diesem sonderbaren Wesen sehr wenig anfangen. Anfangs sagten die Eltern sogar, was soll das ganze Studieren, auf ein höhere Schule gehen – alles Blödsinn. Hugo aber hat ihr zum ersten Mal klar gemacht, dass Herkunft etwas ist, was man nicht verleugnet oder einfach abstreifen muß". Als Hugo stirbt, bricht die Welt der Romanheldin Hilla zusammen. Sie hasst das Leben, sie hasst Gott. Pfarrer Kreuzkamp öffnet ihr dann eine Tür ins Leben. Hilla kann erneut aufbrechen. Sie trifft Marga, eine neue Freundin, die ihr das kommunistische Manifest in die Hand drückt. Hilla zieht von Köln nach Hamburg und tritt in die DKP ein, wo sie sich in der Gemeinschaft der Genossen geborgen fühlt, ähnlich geborgen wie in ihrer Kindheit – in der katholischen Kirche. "Zwischen dem Kirchenglauben und Parteiglauben gibt es parallele Strukturen", sagt Ulla Hahn. "Der Katholizismus, wie ich ihn auf dem Dorf erfahren habe, war ein Korsett. Ein Korsett engt ein, gibt aber gleichzeitig auch Halt".

Bücher und der Rhein - Kraftorte des Lebens

Bald erkennt Hilla, dass der Kommunismus eine Ideologie ist, die mit der Realität des Lebens wenig zu tun hat. In ihrem Roman erzählt Ulla Hahn, wie ihre Heldin Hilla sich befreit, wie sie zu sich selbst, zur eigenen inneren Freiheit findet. Bücher helfen ihr dabei, die Magie der Wörter. Und dann sagt die gebürtige Rheinländerin, für sie seien die Bücher und der Rhein die wichtigsten Kraftorte im Leben. "Ohne meine Bücher und ohne den Rhein würde ich jetzt wahrscheinlich nicht hier sitzen", ist Ulla Hahn überzeugt. "Dem Rhein konnte man alles anvertrauen, der Rhein schwemmte das weg. Als Kinder haben wir mit dem Großvater Schiffchen gebaut und nach Rotterdam geschickt - ins Meer". So beginnt und endet der Roman "Wir werden erwartet" am Rhein.

Ulla Hahn arbeitet in dem Buch ihren großen Lebensirrtum auf und fragt sich, warum bin ich damals Mitglied in der DKP geworden. Sie sagt aber auch, dieser Irrtum war für mich notwendig und keine verschenkte Lebenszeit. "Umwege sind etwas, was aus der Rückschau wieder einen Sinn haben kann", sagt die Autorin, "wenn ich es schaffe, den Umwegen wieder einen Sinn zu verleihen. Das ist auch der Sinn von Leben: Aus dem Ballast der Vergangenheit, Proviant zu machen. Dazu sind wir aufgefordert".