Ukrainischer Theologe berichtet aus Kiewer Höhlenkloster

"Habe meine Bücher schon ausgeräumt"

Kommt es bald zur Räumung des Höhlenklosters in Kiew? Der Abt steht bereits unter Hausarrest. Sergij Bortnyk lehrt als Theologieprofessor auf dem Gelände des Klosters und sieht in dem Streit vor allem eine politische Dimension.

Höhlenkloster in Kiew / © meunierd (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie die aktuelle Situation rund um das Höhlenkloster?

Sergij Bortnyk, Professor der Kiewer Theologischen Akademie der Ukrainischen Orthodoxen Kirche / © Sergij Bortnyk (privat)
Sergij Bortnyk, Professor der Kiewer Theologischen Akademie der Ukrainischen Orthodoxen Kirche / © Sergij Bortnyk ( privat )

Sergij Bortnyk (Professor der Kiewer Theologischen Akademie der Ukrainischen Orthodoxen Kirche): Es ist ziemlich schwierig. Die Akademie und das Seminar existieren dort seit fast 35 Jahren. Das soll jetzt plötzlich zum Ende kommen, obwohl unser Vertrag unbefristet war. Wir sind davon ausgegangen, dass wir dort solange bleiben können, wie wir wollen. Doch dann wurde uns mitgeteilt, dass in weniger als drei Wochen alles weg sein muss: Alle Mönche, alle Studierenden und die ganze Bibliothek. Das ist vor allem für die Theologische Akademie schwierig, weil sie als Einheit und nicht getrennt existieren kann. Es ist also kaum möglich, die Studierenden auf unterschiedliche Orte zu verteilen.

DOMRADIO.DE: Gibt es eine Alternative für die Akademie, wenn Sie aus dem Kloster raus müssen?

Bortnyk: Der Staat hat keine Alternative vorgeschlagen. Es gibt wahrscheinlich Versuche, etwas Neues zu finden, aber für uns steht fest, dass wir so schnell keinen Raum finden. Das ist ein Problem.

DOMRADIO.DE: Bereiten Sie sich auf eine Räumung vor?

Bortnyk: Ich habe meine Schränke und meine Bücher schon ausgeräumt und arbeite nur noch von Zuhause. Diese Woche finden keine Vorlesungen statt.

Sergij Bortnyk (Professor der Kiewer Theologischen Akademie der Ukrainischen Orthodoxen Kirche)

"Seit Mai letzten Jahres haben wir keine Unterordnung mehr zum Moskauer Patriarchat."

DOMRADIO.DE: Seit Jahren gibt es diesen Streit: Die ukrainische Regierung wirft der ukrainisch-orthodoxen Kirche vor, dass sie Verbindungen zu Russland hat. Wie berechtigt sind diese Vorwürfe?

Bortnyk: Ich würde sagen, dass wir eine kanonische Verbindung haben. Formal gesehen sind wir ein Teil vom Moskauer Patriarchat, so werden wir auch von anderen Kirchen wahrgenommen. Die Frage ist hauptsächlich politisch geprägt, ob wir die Befehle oder Empfehlungen von Moskau umsetzen oder nicht. Da sehe ich den  Unterschied. Denn seit Mai letzten Jahres haben wir keine Unterordnung mehr zum Moskauer Patriarchat.

DOMRADIO.DE: Wie ernst gemeint ist diese Distanzierung?

Bortnyk: Unsere ukrainisch orthodoxe Kirche ist ziemlich groß. Vor dem Krieg gab es offiziell 12.000 Gemeinden und über 12.000 Priester. Da gibt es eine große Bandbreite. Die Gemeinden auf der Krim denken viel mehr prorussisch als in Tscherniwzi im Westen der Ukraine beispielsweise. Es gibt unterschiedliche Meinungen in der Bevölkerung. Es ist entscheidend, dass wir eine Spaltung vermeiden.

Sergij Bortnyk (Professor der Kiewer Theologischen Akademie der Ukrainischen Orthodoxen Kirche)

"Nun als Reaktion die ganze Struktur zu verbieten, ist aus meiner Sicht der falsche Weg."

DOMRADIO.DE: Ist es da nicht nachvollziehbar, dass die ukrainische Regierung eine mögliche Kooperation mit Russland ausschließen möchte und diesen Vertrag jetzt kündigt?

Bortnyk: Ja, im Hinblick auf unseren Metropoliten Onufrij, das Haupt unserer Kirche, vielleicht schon. In der Sowjetzeit verbrachte er mehrere Jahrzehnte in Moskau und war ein Mönch dort. Das ist ein Zeichen dafür, dass er früher gute Kontakte nach Russland hatte.

Die entscheidende Frage ist aber eine andere. Es geht nicht um die persönlichen oder kulturellen Kontakte. Es geht in erster Linie um die Unterstützung des Angriffskriegs und darum, ob unsere Menschen in diesem Militärprozess helfen. Ich vermute, dass es Fälle gab, wo unsere Priester (bei der russischen Kooperation) mitgemacht haben, in Einzelfällen. Nun als Reaktion die ganze Struktur zu verbieten, ist aus meiner Sicht der falsche Weg.

DOMRADIO.DE: Ein ukrainisches Gericht hat den Vorsteher, Abt Metropolit Pawlo, für zwei Monate unter Hausarrest gestellt. Als Grund werden diese prorussischen Positionen angeführt. Wie haben die Mitbrüder darauf reagiert?

Bortnyk: Metropolit Pawlo ist eine interessante Person. Er hat viele positive Kontakte zu Oligarchen auch in der Ukraine. Das hat aber mit unserer theologischen Akademie nichts zu tun. Obwohl ich nicht genau mit ihm gesprochen habe, vermute ich, dass er Kontakte nach Russland hatte. Es ist aus meiner Sicht aber dennoch falsch, wenn unser Staat nicht gegen konkrete Personen kämpft, sondern die ganze Struktur der ukrainisch orthodoxen Kirche bestraft.

Sergij Bortnyk (Professor der Kiewer Theologischen Akademie der Ukrainischen Orthodoxen Kirche)

"Der Hauptvorwurf bestand darin, dass unser Abt Pawlo mehrere neue Gebäude baute."

DOMRADIO.DE: Die Orthodoxe Kirche der Ukraine - die nicht zum Patriarchat von Moskau gehört - möchte, dass die Mönche die Seiten wechseln und von der bisherigen ukrainisch orthodoxen Kirche (UOK) zur orthodoxen Kirche der Ukraine. Was halten Sie von dieser Forderung?

Das Höhlenkloster in Kiew / © Sergij Bortnyk (privat)
Das Höhlenkloster in Kiew / © Sergij Bortnyk ( privat )

Bortnyk: Diese Politik gegenüber unserer Kirche existiert seit Herbst letzten Jahres, mittlerweile ist eine neue Dimension erreicht. Wenn wir uns die Geschichte ansehen, gab es eine aktive Phase der Gegenübersetzung zur Zeit von Präsident Poroschenko vor vier Jahren. Jetzt kommt es dazu, dass unsere Kirche, unsere Priester und unsere Gläubigen die Seite wechseln sollen - dann gibt es keine Probleme.

Im Fall des Höhlenklosters ist das symptomatisch. Der Hauptvorwurf bestand darin, dass unser Abt Pawlo mehrere neue Gebäude baute, obwohl er nicht die Erlaubnis dafür hatte. Doch nun ist klar, dass nicht die neuen Gebäude oder die Renovierungen, sondern die Frage des Wechsels zur orthodoxen Kirche der Ukraine im Vordergrund stehen und der wichtigste Grund für diesen Konflikt ist.

DOMRADIO.DE: Das wird also gemacht, um die Mönche unter Druck zu setzen, doch die Seiten zu wechseln?

Bortnyk: Ja, eindeutig. Vor einigen Wochen habe ich einen Artikel geschrieben und genau das vermutet. Metropolit Epiphanius hat den Mönchen eine Einladung ausgesprochen, dass sie gerne wechseln können. Darüber hinaus gab es auch mehrere Erklärungen von Kulturminister Oleksandr Tkatschenko heißt. Ziel ist es, die "neue" orthodoxe Kirche der Ukraine zu stärken und unsere Ukrainische Orthodoxe Kirche aufzulösen.

DOMRADIO.DE: Denken Sie, dass der Streit weitergehen, oder vielleicht eskalieren wird?

Bortnyk: Teilweise sind die Mönche schon weg. Ich weiß, dass mehrere Studierende noch da und in den sozialen Medien zu sehen sind. Wie schon gesagt, unsere Kirche ist ziemlich groß und es gibt viele Klöster. Darum ist das Problem, einen Platz für die Mönche des Höhlenklosters zu finden, relativ gering. Ich frage mich in erster Linie, wo die theologische Akademie weiter existieren soll? Sie kann unmöglich getrennt werden und an fünf Orten gleichzeitig existieren.

Das Interview führte Elena Hong.

Christliche Kirchen in der Ukraine

Die kirchlichen Verhältnisse in der Ukraine sind komplex. Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU). Zudem gibt es eine römisch-katholische Minderheit mit rund einer Million Mitgliedern sowie die mit Rom verbundene (unierte) griechisch-katholische Kirche der Ukraine.

Das Heilige Feuer aus Jerusalem am 18. April 2020 im Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats. / © Sergey Korovayny (KNA)
Das Heilige Feuer aus Jerusalem am 18. April 2020 im Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats. / © Sergey Korovayny ( KNA )
Quelle:
DR