Ukrainer feiern Gottesdienst im Kölner Dom

"Es zerreißt mir das Herz"

In einer bewegenden Messfeier nach byzantinischem Ritus haben am Donnerstag mehrere hundert Ukrainer und Deutsche mit ukrainischen Wurzeln um Frieden in ihrem Land gebetet. Viele bangen um das Leben ihrer Männer, Väter oder Söhne.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
 © Beatrice Tomasetti (DR)
© Beatrice Tomasetti ( DR )

"Ich schlafe nicht mehr, esse nicht mehr und bestehe eigentlich nur noch aus Angst." Galina Yatsyshyn kämpft mit den Tränen, als sie davon erzählt, dass ihre gesamte Familie – Tochter, Sohn, die Enkel und ihre Eltern – in der Ukraine lebt und sie dort gerade dem brutalen Angriffskrieg Putins schutzlos ausgesetzt ist, sie selbst aber nicht mehr tun kann, als ständig Kontakt zu ihnen zu halten und so in Verbindung mit ihren Liebsten zu bleiben. Das aber in ständiger Sorge.

Ihr Mann Zenovij muss sein Land nun mit Waffen verteidigen. Ob er will oder nicht. Mit 53 Jahren gehört er zu den wehrpflichtigen Männern, die die Ukraine nicht mehr verlassen dürfen. Ob Galina ihn je wiedersehen wird, weiß sie nicht. Nur beten dafür könne sie und die Hoffnung auf Frieden nicht verlieren, sagt sie. Noch halte er sich in Ternopol, einer Kleinstadt im Westen, auf, die auch Wallfahrtsort ist und wo die Lage noch vergleichsweise ruhig ist. Doch natürlich weiß sie, dass sich das jederzeit ändern kann.

Genauso verzweifelt wie sie ist Oxana Havrylyk. Sie fürchtet um das Leben ihres Sohnes Roman, der gerade mal 20 ist. "Aber er will kämpfen und ist gar nicht aufzuhalten", berichtet die 42-Jährige mit stockender Stimme. "Alle zuhause wollen kämpfen und die Ukraine verteidigen." Das sei doch sein Land, würde Roman argumentieren. So erzählt seine Mutter, die nur Telefonkontakt zu ihm hat. Aber immerhin. Noch sind die Leitungen nicht gekappt. Von Deutschland aus, erklärt Oxana, könne sie nichts für ihn tun, außer zu beten. Aus diesem Grund sei sie auch in den Dom gekommen. "Mit unseren Gebeten können wir den Menschen in unserer Heimat nahe sein und uns mit ihnen solidarisch zeigen."

Hoffnung auf Erhörung der Gebete

Wie Galina und Oxana geht es vielen Menschen in dieser Abendstunde im Kölner Dom, wo Pfarrer Mykola von der ukrainischen griechisch-katholischen Gemeinde im Erzbistum Köln einen berührenden Gottesdienst in byzantinischem Ritus feiert. Was bedeutet, dass diese sehr alte Liturgie mit ihren mitunter sperrig anmutenden Texten, die auf den Heiligen Johannes Chrysostomos zurückgeht und noch älter ist als die katholische "Ordo missae" im römischen Ritus, fast durchgehend gesungen wird und viel Raum für andächtiges Innehalten schafft. Eingeladen waren alle 43 ukrainischen griechisch-katholischen Gemeinden des Erzbistums, die in der Summe 345.000 Mitglieder zählen.

Auch Dompropst Guido Assmann nimmt als Gastgeber an dieser Feier, die von zwei Chorgruppen der Gemeinde musikalisch gestaltet wird, teil. Sensibel reagiert er auf die allseits spürbare Bedrückung und Schwere, die auf diesem Gottesdienst lastet.

In seiner Begrüßung verweist er auf den einen gemeinsamen Glauben und bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Gebete der in Kölns Kathedrale Versammelten erhört werden. "Es ist ein wichtiger Anlass, der uns hier zusammenführt", erklärt der Hausherr des Domes, "und ein gutes Zeichen, dass wir auf das Gebet vertrauen. Gott möge uns beistehen und unsere Gebetsgemeinschaft segnen!"

Pfarrer Pavlyk: Bislang war der Krieg immer weit weg

Dass er noch einen Tag vor Kriegsbeginn hundertprozentig davon überzeugt gewesen sei, es werde keinen Krieg in der Ukraine geben, räumt in einer kurzen Ansprache an seine ukrainischen Landsleute Pfarrer Pavlyk ein. "Ich war nicht vorbereitet auf das, womit ich konfrontiert wurde", gesteht er. In den letzten Tagen habe er mit einem Mal verstanden, was das Wort von den "Brüdern und Schwestern", das er in seinen 23 Priesterjahren so oft gewohnheitsmäßig in den Mund genommen habe, angesichts der großen Solidarität, die sich jetzt zeige, wirklich bedeute. So viele Menschen würden fragen, womit sie helfen könnten, berichtet Pavlyk. Auch das seit Jahrtausenden geltende Gebot "Du sollst nicht töten" realisiere er erst jetzt in seiner ganzen Tragweite. "Nun haben wir Krieg mitten in Europa", stellt der Geistliche fest. Dabei sei Krieg – wie der in Afghanistan oder Syrien – bislang immer weit weg für ihn gewesen. Umso dringlicher sei es nun, das Große und Wichtige nicht aus dem Blick zu verlieren. "Nicht umsonst ist in unserer Liturgie das Wort ‚Frieden’ das zweithäufigste nach Gott. Aber wir haben verlernt, ihn zu leben."

Stefan Mironjuk trägt neben seinen Sorgen um Freunde und Verwandte in der Ukraine an diesem Abend auch seinen Dank in den Dom. Denn er kann eine Mut machende Geschichte erzählen, zumal er binnen weniger Tage gerade eine Mammut-Tour in die Ukraine hinter sich gebracht hat. 20 Stunden ist er bis zur polnisch-ukrainischen Grenze unterwegs gewesen. "Mit dem Friedensgebet am Samstag habe ich meine Reise direkt vom Dom aus begonnen – mit Spenden und Medikamenten im Gepäck." Er wollte seine Schwägerin mit zwei Kindern und die Schwiegermutter aus der Ukraine nach Deutschland holen. Am Ende reisen sie zu elft zurück, kommen in einem 25 Kilometer langen Flüchtlingstreck aber nur sehr langsam vorwärts und begegnen an den Straßenrändern immer wieder Menschen, die den vielen Flüchtenden eine warme Suppe, Tee oder Sandwiches anbieten.

Für die Bekehrung Russlands beten

"Diese Hilfe von einfachen Menschen, die mit dem Wenigen, was sie beisteuern können, die Not anderer lindern wollen, hat mich am meisten beeindruckt", sagt der Vater von fünf Kindern aus Bonn. "Nun bin ich einfach nur überglücklich, dass wir wohlbehalten zurück sind und alles gut gegangen ist. Das war zweifelsohne die logistisch anspruchsvollste Reise meines Lebens." Es zerreiße ihm das Herz, dass dieses Land gerade mit Bomben und Panzern zerstört werde und die Bevölkerung unter schwersten unmenschlichen Verbrechen leide. "Das ist eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit", ruft Mironjuk. Daher höre er nicht auf, für den Frieden, aber vor allem auch für eine Bekehrung Russlands zu beten.

Doch nicht das allein. Schon in der nächsten Woche will Mironjuk wieder nach Osten aufbrechen. Diesmal geht es darum, einen Hilfskonvoi mit mehreren LKWs anzuführen. Ziel ist Lwiw – zu deutsch Lemberg im Westen der Ukraine und 70 Kilometer hinter der polnischen Grenze – von wo aus die gesammelten Sachspenden weiter zur ukrainisch-katholischen Universität in Kiew, einer privaten Hochschule der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, gebracht werden sollen. "Ich bin ortskundig, kenne alle Passierwege und Schleichpfade. Das ist in solchen Zeiten goldwert. Ich kann in diesem Krieg doch nicht einfach nur tatenlos zusehen", argumentiert er.

 

Quelle:
DR