Überschattete Weihnachten in Armenien

Unter gesellschaftlichen Spannungen

Bergkarabach ist verloren, zehntausende Flüchtlinge sind im Land - ihr diesjähriges Weihnachtsfest feierten die Armenier mit gedämpften Gefühlen. Hinzu kommen Spannungen zwischen der Armenisch-apostolischen Kirche und der Regierung.

Autor/in:
Simon Kajan
Kirche in Armenien (shutterstock)

Im vergangenen Jahr haben die Armenier ein mindestens seit dem Mittelalter angestammtes Siedlungsgebiet einbüßen müssen. Mit dem Verlust Bergkarabachs hat die Nation, die sich einst vom östlichen Anatolien über Kilikien bis fast bis zum Mittelmeer erstreckte, ein weiteres traditionelles Siedlungsgebiet verloren. 

Davon geprägt waren auch die Weihnachtsfeierlichkeiten in Armenien. Angesichts des Gebietsverlustes und der Aufnahme von über 100.000 Flüchtlingen aus der nun aufgehobenen "Autonomen Republik Arzach", bisher meist Bergkarabach genannt, steht das Land vor politischen und gesellschaftlichen Spannungen.

Angespanntes Verhältnis zwischen Kirche und Regierung 

Das Oberhaupt der Armenisch-apostolischen Kirche, Katholikos Karekin II., rief in seiner Weihnachtsbotschaft zum gesellschaftlichen und nationalen Zusammenhalt in Armenien auf. Nur so sei es möglich, den aserbaidschanischen Expansionsbestrebungen und Übergriffen auf armenischem Staatsgebiet zu widerstehen, mahnte er.

Karekin II. (l.), Oberster Patriarch und Katholikos aller Armenier / © Paolo Galosi/Agenzia Romano Siciliani (KNA)
Karekin II. (l.), Oberster Patriarch und Katholikos aller Armenier / © Paolo Galosi/Agenzia Romano Siciliani ( KNA )

Ausdruck für die gesellschaftlichen Spannungen ist auch das angespannte Verhältnis zwischen der armenischen Kirchenleitung und der aktuellen Regierung unter Regierungschef Nikol Paschinjan. Bereits am Silvestertag wich das armenische Staatsfernsehen von der bisher bewährte Praxis ab, die Rede des Katholikos zum Jahreswechsel unmittelbar vor der Rede des Präsidenten auszustrahlen.

Dieses Mal habe laut der armenisch-apostolischen Kirche der Sender "in letzter Minute" mitgeteilt, dass es nicht so sein werde. Stattdessen habe man vorgeschlagen, die Ansprache im Rahmen der Abendnachrichten zu senden, was von der Kirchenleitung abgelehnt wurde.

Tröstliche Worte für vertriebene Armenier

Ohne die aktuelle armenische Regierung in seiner Weihnachtsansprache direkt zu nennen, kritisierte der Katholikos mit scharfen Worten deren Agieren im Konflikt um Bergkarabach. Arzach sei während der "Tage der Katastrophe" allein geblieben.

Karekin II. hatte sich in den vergangenen Monaten immer wieder zutiefst betroffen gezeigt über die Untätigkeit der internationalen Staatengemeinschaft wie auch der armenischen Regierung. Er könne verstehen, dass die Menschen in Armenien aufgebracht gegen die eigene Regierung seien.

Den vertriebenen Armeniern, die in Armenien Zuflucht gefunden haben, sprach das Kirchenoberhaupt Trost und Zuversicht zu. "Arzach wird für uns nie der Vergangenheit angehören", sagte Karekin II. Es werde in den Herzen und Seelen aller Armenier weiter bestehen und man werde keine Anstrengungen scheuen, um die Rechte der Arzach-Armenier zu schützen.

Unterstützung für Karabach-Flüchtlinge

In der armenischen Kirche wird das Fest der Geburt Jesu gemeinsam mit dem Epiphanie-Fest am 6. Januar gefeiert. In seiner Neujahrsbotschaft hatte Karekin II. ebenfalls zur tatkräftigen materiellen sowie menschlichen Unterstützung für die Karabach-Flüchtlinge aufgerufen. Die "Vision einer Rückkehr in die Heimat Arzach" dürfe "niemals verblassen", sagte der Katholikos.

Armenier aus Berg-Karabach sitzen in einem Lastwagen auf dem Weg nach Goris in der Region Syunik / © Gayane Yenokyan (dpa)
Armenier aus Berg-Karabach sitzen in einem Lastwagen auf dem Weg nach Goris in der Region Syunik / © Gayane Yenokyan ( dpa )

Mit dem Verlust Bergkarabachs ist die älteste christliche Nation, die bereits im Jahr 301 den Glauben annahm, auf ein vergleichsweise winziges und bedrohtes Territorium von der Größe Brandenburgs zusammengeschrumpft - mit dem aggressiv auftretenden Nachbarn und Öllieferanten Aserbaidschan, das weitere Gebietsansprüche gegenüber der Republik Armenien geltend zu machen droht.

Aserbaidschan bestand auf der Wiederherstellung seiner territorialen Integrität, die es durch das bereits in der Sowjetzeit mit Autonomie ausgestattete Bergkarabach verletzt sah. 1988 stellte das damals Autonome Gebiet Bergkarabach den Antrag, von der Unionsrepublik Aserbaidschan zur Unionsrepublik Armenien zu wechseln. 1992 wurde die "Republik Bergkarabach" ausgerufen, seit 2017 "Republik Arzach". Sie war allerdings diplomatisch von keinem Staat anerkannt, auch nicht von Armenien.

Vermittlungsbemühungen Armenien und Aserbaidschan

Die seither schwelende Krise mit mehreren zehntausend Toten gilt als ein Schlüsselkonflikt in der Region. Nach einer monatelangen Blockade des Gebietes und neuerlichen Bombardierungen durch Aserbaidschan musste Bergkarabach im vergangenen Jahr militärisch kapitulieren. Eine nach der Kapitulation angekündigte Auflösung der Republik Arzach wurde im Dezember 2023 von der ins Exil gegangenen Regierung zurückgezogen.

Derzeit unternehmen vor allem die Vereinigten Staaten Vermittlungsbemühungen zwischen den verfeindeten Staaten Armenien und Aserbaidschan. Doch auch das vormals durch Friedenstruppen in Bergkarabach involvierte Russland wird trotz des Krieges in der Ukraine seine Interessen in Armenien und der ganzen Region sichern wollen.

Die Politik der derzeitigen armenischen Regierung, die durch eine "bunte Revolution" an die Macht kam, versucht in der geopolitisch volatilen Gemengelage zwischen den Groß- und Regionalmächten USA, Russland, Türkei und Iran zu lavieren. Die armenische Kirche sieht sich dabei offenbar als Garant des armenischen Volkes - möge das gelegen sein oder ungelegen.

Quelle:
KNA