Überlebensstrategien für die kalte Jahreszeit

Winterschlaf ist nichts für jeden

Sich Speck anfressen und die kalte Jahreszeit einfach durchschlafen – das Leben eines Winterschläfers klingt erstmal entspannt. Dabei ist das Phänomen viel komplexer, als es scheint. Und warum halten wir eigentlich keinen?

Autor/in:
Christoph Koitka
Die Haselmaus hält von Oktober bis Anfang Mai ihren Winterschlaf / © Marko König (epd)
Die Haselmaus hält von Oktober bis Anfang Mai ihren Winterschlaf / © Marko König ( epd )

Vor dem Wintereinbruch ist Lisa Warnecke in den letzten Jahren gerne einmal durch den Park gekrabbelt. Die Biologin war aber nicht zum Vergnügen im feuchten Herbstlaub unterwegs, sondern auf der Suche nach Igeln. Die stacheligen Insektenfresser sind nicht nur putzig, sondern ein ideales Objekt für Warneckes Forschungsgebiet:

den Winterschlaf. So nennt die Biologin den Zustand, den viele Tiere im Winter einnehmen, aber nicht: "Erstens schlafen die Tiere während dieser Zeit gar nicht, und zweitens muss sie nicht zwingend im Winter liegen", schreibt Warnecke in ihrem Buch "Das Geheimnis der Winterschläfer".

Energie sparen

Biologen benutzen stattdessen das Wort "Torpor", um den Zustand zu beschreiben. Das lateinische Wort heißt übersetzt Erstarrung oder Betäubung. Warnecke beschreibt den Torpor als eine kontrollierte Absenkung von lebenserhaltenden Funktionen wie Stoffwechsel, Körpertemperatur und Herzschlag. Diese Absenkung ist nicht vergleichbar mit einem einfachen Schlummer, ist dafür aber äußerst effizient: Laut der Forscherin können Tiere im Torpor über 99 Prozent der normalerweise benötigten Energie einsparen.

Nicht nur ist der Winterschlaf kein richtiger Schlaf: Er ist auch, wie aber oft fälschlich angenommen wird, nicht durchgängig. Auch Winterschläfer wachen zwischendurch auf und wechseln etwa ihr Versteck. Anders als Winterruher wie das Eichhörnchen vergraben sie aber ihre Vorräte nicht, sondern tragen sie als Fettspeicher mit sich herum. Dabei muss die Energiesparphase nicht einmal im Winter liegen. Denn neben dem Winterschlaf gibt es noch den sogenannten Tagestorpor.

Energie-Engpässe

Diesen Zustand nutzen Tiere wie der Zwerghamster punktuell, um Energie-Engpässe zu überwinden. Die Eigenschaften dieses besonderen Schlafes machen ihn auch für Mediziner interessant: Manche träumen davon, Astronauten in diesem Zustand ins All zu schicken, in dem sie weniger strahlungsanfällig seien, schreibt Warnecke. Andere erhofften sich von der Entschlüsselung der Geheimnisse der Winterschläfer eine bessere Versorgung von Patienten, etwa bei Unterkühlung.

Bisher bleibt der menschliche Torpor aber ein Wunschtraum. Nur einige Säugetiere – dazu gehören mit madagassischen Lemuren immerhin auch Primaten – und wenige Vögel sind zum kontrollierten Torpor fähig. Amphibien und Insekten senken ihren Energiebedarf dagegen nicht selbsttätig ab; diese Tiere erstarren bei Kälte einfach. Winterschläfer bereiten sich dagegen gut auf ihre Reglosigkeit vor.

Der tierische und menschliche Schlaf

Ein einjähriger Igel etwa verdoppelt laut Warnecke sein Körpergewicht vor dem Wintereinbruch auf etwa ein Kilogramm. Die Tiere nehmen wahr, wenn die Tage kürzer werden und reagieren entsprechend darauf. Auch der Mensch orientiert sich beim Schlaf am Hell-Dunkel-Rhythmus.

Bei Dunkelheit wird das "Schlafhormon" Melatonin in der Zirbeldrüse im Gehirn ausgeschüttet. Der menschliche Schlaf ist daher im Sommer kürzer als im Winter. "Trotzdem verändert sich die qualitative Zusammensetzung der Schlafphasen nicht", erläutert Hans-Günter Weeß, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Das bedeutet: Zu jeder Jahreszeit bekommt der Mensch genug Tief- und REM-Schlaf. Diese Phasen sind intensiv und brauchen viel Energie.

Schwacher Mensch

"Der Energieverbrauch im Schlaf ist fast ähnlich hoch wie im Wachen", erklärt Weeß. Der Mensch ist demnach nicht in der Lage, seinen Stoffwechsel aktiv so weit herunterzufahren, wie es für den Torpor nötig wäre. Das ist so, weil der Körper weiterarbeitet, während er scheinbar nur herumliegt. "Der menschliche Schlaf ist ein hochaktiver Prozess", betont der Mediziner. So werden dabei zum Beispiel das Gedächtnis geformt und Zellen regeneriert. Weil diese Arbeiten viel Energie verbrauchen, muss nach dem Aufwachen schnell wieder Nachschub in Form von Nahrung her. An Winterschlaf ist so nicht zu denken.

Dass der Mensch nicht am Tag schläft, hängt auch mit seinen vergleichsweise schwachen Augen und Ohren zusammen: Bei Nacht sind menschliche Sinne denen früherer Fressfeinde wie Wolf oder Bär unterlegen. Vor dem Bären allerdings hätten sich unsere Vorfahren zumindest im Winter nicht ständig fürchten müssen: Auch Meister Petz gehört bekanntermaßen zu den Winterschläfern.


Quelle:
KNA