Über den Sinn von Ritualen an Weihnachten

Alle Jahre wieder

Christbaum schmücken oder Plätzchen backen. In den letzten Tagen des Advents geht es nicht nur um Vorbereitungen für Weihnachten, sondern auch um gemeiname Rituale. Die können laut Experten gut tun – so lange sie ihren Sinn nicht verlieren.

Autor/in:
Paula Konersmann
 (DR)

Für manche ist es der Gang zur Christmette, für andere die leuchtenden Augen der Kinder, für wieder andere der Duft der Lieblingsplätzchen. Der Moment, in dem man spürt: Jetzt ist Weihnachten. Die Suche nach Geschenken und Verabredungen zum Glühwein sind manchmal stressig, gehören aber genauso dazu wie schließlich die Stille in der Heiligen Nacht. Kaum eine andere Zeit im Jahr - Fußballturniere vielleicht ausgenommen - verbringen so viele Menschen in einer so ähnlichen Stimmung.

Neue Traditionen können entstehen

"Weihnachten hat ein Alleinstellungsmerkmal, was die Einigkeit angeht", meint der Kölner Psychologe Peter Groß. In der Forschung lässt sich zwischen sozialen Ritualen, die größere Gruppen betreffen, und individuellen Ritualenunterscheiden. Die Traditionen rund um Weihnachten sind besonders weit verbreitet. Und obwohl vielen Menschen ihre Weihnachtsbräuche am Herzen liegen, wandeln sich die Rituale ständig, erklärt Groß. "Konflikte kann es geben, wenn Menschen aus unterschiedlichen Familien neue Familien gründen." Der eine liebt Lametta am Baum, der andere schwört auf edlen Porzellanschmuck. Der Psychologe sieht darin auch eine Chance: "Aus einem Kompromiss kann eine neue Tradition entstehen."

Diesen Kompromiss zu schließen, kann schwerfallen - denn manches, vor allem Traditionen aus der Kindheit, hat man liebgewonnen. Und: Wiederholungen können gut tun. Wer beim Sport immer wieder einen Bewegungsablauf trainiert oder beim Musikunterricht Tonleitern übt, erlebt dies nicht nur als monoton - und merkt irgendwann, wie sich das scheinbar Ewiggleiche verändert, vielleicht verbessert.

Struktur für den Tag

Kerstin-Marie Berretz kennt sich mit Ritualen aus. Sie lebt seit zehn Jahren im Orden der Arenberger Dominikanerinnen - und dort ist der ganze Tag strukturiert. "Wir beginnen den Tag mit einem gemeinsamen Gebet, es gibt Zeiten für das stille Gebet und feste Rituale, mit denen wir die Mahlzeiten beginnen und beenden", erzählt die Ordensschwester. Ob es ihr gerade "passt" oder nicht - um halb sechs wird der Rosenkranz gebetet. "Und wenn ich erst da bin, merke ich, dass es eine sinnvolle Unterbrechung meines sonstigen Programms ist", sagt Schwester Kerstin-Marie.

Insbesondere für Kinder ist ein fester Tagesablauf wichtig, meint Psychologe Groß. Erwachsenen fällt es bisweilen schwer, neue Rituale zu etablieren: mehr Sport machen, häufiger kochen, sich Zeit für ein Hobby nehmen - aber wann? Insbesondere die Generation X, also die 38- bis 53-Jährigen klagen nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) über einen Mangel an Mußestunden. Zwischen Arbeitsalltag, Familie und Hausarbeit bleiben dieser Gruppe demnach durchschnittlich 1,4 Stunden an täglicher Freizeit.

Entlastung für das Großhirn

Regelmäßigkeit kann helfen, weiß Schwester Kerstin-Marie. "Der Mensch funktioniert offenbar, indem er sich selbst feste Zeitpunkte setzt." Wer jeden Tag um Punkt 11 Uhr einmal aufsteht, aus dem Fenster schaut und durchatmet, wird irgendwann nicht mehr darüber nachdenken, ob und wann er einmal aufstehen sollte. Morgens habe viele Menschen einen festen Ablauf: aufstehen, Zähneputzen, Kaffeekochen. "Die Verankerung im Gedächtnis hat den Vorteil, dass ich mir die Handlungsketten nicht merken, nicht nachdenken muss", erklärt Groß. "Das entlastet das Großhirn."

Früher herrschte die Überzeugung, das Gehirn sei mit etwa 20 Jahren "fertig". Inzwischen ist bekannt, erklärt der Psychologe, dass immer neue neuronale Verknüpfungen entstehen. "Insofern kann man Gewohnheiten und Rituale bis ins höchste Alter verändern", betont er.

Rituale können allerdings auch nerven. Laut Groß geschieht das, wenn sie ihren Sinn verloren haben: "Wer nur zur Kirche geht, weil die Nachbarn sonst lästern oder die Eltern einen mitschleppen, für den wird es zur lästigen Pflicht." Aus psychologischer Sicht sei es sinnvoll, Rituale immer wieder zu verändern oder zu unterbrechen. Oder aber sie bewusst zu erleben: "Der Stimmung an Weihnachten kann man sich kaum entziehen", beobachtet Schwester Kerstin-Marie. "Jeder scheint mit dem Fest beschäftigt zu sein. Und wenn man sich darauf einlässt und ein wenig hinter den Trubel schaut, dann kann man etwas vom tieferen Sinn von Weihnachten erahnen."


Kekse und Kakao gab es natürlich auch / © Veronika Seidel Cardoso (DR)
Kekse und Kakao gab es natürlich auch / © Veronika Seidel Cardoso ( DR )

Familie singt gemeinsam Weihnachtslieder / © Jörg Löffke (KNA)
Familie singt gemeinsam Weihnachtslieder / © Jörg Löffke ( KNA )
Quelle:
KNA