Türkischer Botschafter am Vatikan über den Putsch und den Papst

"Wir erwarten ein Zeichen der Sympathie"

Seit dem Putschversuch vom 15. Juli wirbt die türkische Botschaft beim Heiligen Stuhl um Rückhalt für Präsident Recep Tayyip Erdogan. Im Interview äußerte sich Mehmet Pacaci zu den Menschenrechten und zur Rolle von Islam und Vatikan in seinem Land.

Türken zeigen Flagge in Köln für den türkischen Staatspräsidenten / © Oliver Berg (dpa)
Türken zeigen Flagge in Köln für den türkischen Staatspräsidenten / © Oliver Berg ( dpa )

KNA: Herr Botschafter, verstehen Sie die Sorgen im Blick auf die Menschenrechtslage in der Türkei?

Mehmet Pacaci (Theologe und Botschafter): Die Regierung ist sich des Themas sehr bewusst. Sie hat erklärt, dass alle Maßnahmen nach internationalen und rechtsstaatlichen Maßstäben erfolgen. Wir haben einen brutalen Militärputsch erlebt: Rund 250 Menschen wurden in jener Nacht kaltblütig getötet, weil sie sich gegen Panzer stellten, um die Demokratie zu schützen. Die Verschwörer zeigten eine beispiellose Brutalität gegen ihr eigenes Volk. Dahinter steht eine Sekte, die sich als Religionsgemeinschaft ausgibt, aber seit 40 Jahren mit allen Mitteln versucht, Militär, Polizei, Justiz und Medien zu unterwandern - die Gülen-Bewegung. Deren Aktivitäten sind allgemein bekannt. Daher kamen auch die Entlassungen und Festnahmen nach dem Putsch nicht urplötzlich. Dahinter stehen jahrelange Ermittlungen.

KNA: Für die Dauer des Ausnahmezustands sind die Menschenrechte außer Kraft gesetzt ...

Pacaci: Nein. Sie sind allenfalls um eine Stufe herabgesetzt. Genau das Gleiche hat Frankreich nach den Terroranschlägen getan. Manche Kreise bringen allerdings bewusst falsche Nachrichten in Umlauf. Sämtliche Vernehmungen, Strafverfolgungen, Festnahmen erfolgen nach internationalem Recht und der Europäischen Menschenrechtskonvention.

KNA: Welche Rolle spielt die Religion für eine Stabilisierung der Lage?

Pacaci: Muslimische Türken sind traditionell religiös. Der Glaube half den Menschen, Widerstand gegen den Putsch zu leisten. Aber das vorherrschende Sentiment ist Wut auf die Demokratiefeinde.

KNA: Da gab es die Imame, die in der Putschnacht die Leute mobilisierten ...

Pacaci: Das ist Tradition seit ottomanischer Zeit. Bei Militäreinfällen oder in Notlagen wurden die Gläubigen zusammengerufen. Das passierte auch in dieser Nacht. Aber die Menschen waren schon davor auf der Straße. Als Präsident Erdogan über das Fernsehen zu Kundgebungen aufrief, reagierte die Bevölkerung unmittelbar.

KNA: Inwieweit gehört der Islam zur nationalen Identität der Türkei?

Pacaci: Die Türkei ist ein säkulares muslimisches und demokratisches Land. Nach einem starken Säkularisierungsdruck ab den 50er Jahren wurde der Islam seit den 90ern wieder stärker sichtbar. Das war der Wunsch des Volkes: Sie wollten frei beten, sich religiös kleiden dürfen. Unter der AKP-Regierung sind die Freiheiten für religiöse, aber auch ethnische Minderheiten wie Kurden gewachsen. Da die überwältigende Mehrheit muslimisch ist, tritt der Islam natürlich stärker in Augenschein. Aber die Regierung ist jedenfalls dem Säkularismus verpflichtet - nicht der französischen Laizität, eher einem angelsächsischen Modell.

KNA: Das Amt für Religionsangelegenheiten - Diyanet - hat das zweitgrößte Budget im Regierungshaushalt, die Präsenz des Islam nimmt zu. Viele fürchten, dass die Türkei ein islamistischer Staat wird.

Pacaci: Das ist eine sehr subjektive und etwas oberflächliche Sicht. 95 bis 98 Prozent der Bevölkerung sind muslimisch, es gibt eine Nachfrage nach Religion. Überall werden Moscheen gebaut, aus Eigeninitiative und mit Spenden finanziert, nicht vom Staat. Und die Gläubigen verlangen von Diyanet Imame ...

KNA: ... die staatlich bezahlt sind.

Pacaci: Ja. Diyanet ernennt für die rund 85.000 Moscheen die Imame, die jeden Monat ihr Gehalt bekommen. Dafür brauchen wir ein Budget. Aber ich erinnere an die Äußerungen Erdogans bei einem Kairo-Besuch noch unter dem Islamisten Mohammed Mursi: Erdogan mahnte, dem Säkularismus treu zu bleiben. Dafür steckte er Kritik ein. Wie kann so jemand den säkularen Charakter der Türkei ändern wollen?

KNA: Also sind nach Ihrer Meinung die Freiheitsrechte in der Türkei sicher?

Pacaci: Natürlich. Schauen Sie sich die Medien nichtmuslimischer Gemeinschaften an: jüdische, armenische, orthodoxe, auch säkulare, linke. Sie können sich kritisch über die Regierung äußern. Es gibt keine Einschränkung der Meinungsfreiheit.

KNA: Aber einige Medien sind ziemlich unter Druck geraten.

Pacaci: Weil sie diesen undemokratischen, brutalen Putsch unterstützt haben. Unsere Maßnahmen richten sich gegen einen Kult, der die Demokratie töten will. Ich denke, das ist das Recht jeden Staats.

KNA: Trotzdem steht die Türkei am Pranger. Ist der Heilige Stuhl ein Verbündeter für Sie?

Pacaci: Ich habe dem vatikanischen Staatssekretariat nach Kräften die Situation geschildert. Natürlich erwarten wir Rückhalt vom Heiligen Stuhl. Es geht um 250 Märtyrer der Demokratie. Wir erwarten ein Zeichen der Sympathie. Soweit ich weiß, hat sich der Nuntius in Ankara schon entsprechend geäußert. Aus dem Vatikan heißt es hingegen, der Fall werde noch studiert.

KNA: Noch einmal: Kann der Vatikan für die Türkei ein Vermittler auf der diplomatischen Bühne sein?

Pacaci: Wenn er eine solche Initiative zur Versöhnung unternehmen will, wird die Türkei das willkommen heißen.

KNA: Heißt das andersherum, dass die Türkei auf Hilfe angewiesen ist?

Pacaci: Das ist ein Eindruck, der fälschlich und aus politischen Absichten erzeugt wird. Die Türkei ist sich ihrer Verantwortung bewusst und wahrt schon aus eigenem Interesse die Rechtstaatlichkeit. Ich glaube nicht, dass wir in einer schwachen Position sind. Das einzige, was wir von unseren Freunden wollen, ist ein besseres und objektiveres Verständnis der Situation.

KNA: Könnte es ein gutes Signal sein, wenn die Türkei die katholische Kirche im Land rechtlich anerkennen würde?

Pacaci: Das ist ein anderes Thema. Die Türkei schlägt Lösungen vor, die früher schon für andere Religionsgemeinschaften angewandt wurden - etwa die Gründung von Stiftungen bürgerlichen Rechts. Aber das scheint dem Heiligen Stuhl nicht geeignet, und umgekehrt sind die Vorschläge des Heiligen Stuhls nicht mit unserer Verfassung in Einklang zu bringen. Auch in Deutschland würde der Staat nicht die Verfassung wegen einer muslimischen Gemeinschaft verändern. Aber es geht nur um eine technische Frage, nicht um eine Nicht-Anerkennung der katholischen Gemeinde.

KNA: Als Papst Franziskus im April 2015 von einem "armenischen Genozid" sprach, erzeugte er damit heftige Reaktionen der Türkei. Vergangenen Juni in Armenien benutzte er den Begriff erneut - und Ankara protestierte kaum. Warum?

Pacaci: Richtig, der Papst hat das "G-Wort" benutzt, aber es fehlte im Redeskript. Die Kurienmitarbeiter waren sich offenbar der türkischen Bedenken bewusst. In diesem Fall unterschied die Türkei zwischen der persönlichen Initiative des Papstes und der Politik des Heiligen Stuhls. Aber ich erinnere an die Reaktion von Außenminister Mevlut Cavusoglu: Die Ereignisse von 1915 einen Genozid zu nennen, stellt ein Unrecht gegenüber dem türkischen Volk dar. Nicht nur Armenier, auch die gleiche Zahl oder noch mehr Muslime in Ostanatolien wurden massakriert. Um gerecht zu sein, sollte man auch die türkischen Opfer hören.

KNA: Behandelt die Türkei den Vatikan vorsichtig, weil sie ihn braucht?

Pacaci: Wir wollen den Vatikan als guten Partner behalten, abgesehen von dieser Sache. Der Papst ist religiöser Führer von 1,2 Milliarden Katholiken. Damit ist er für uns sehr wichtig. Und umgekehrt, meine ich, ist die Türkei auch wichtig für den Heiligen Stuhl.

Das Interview führte Burkhard Jürgens


Quelle:
KNA