Türkeikorrespondent über die Situation nach dem Putsch

"Die wollen nicht unseren Frieden"

Seit dem Putschversuch herrscht in der Türkei Ausnahmezustand. Auch Journalisten haben es zunehmend schwerer. Einer von ihnen ist Christian Feiland. Er arbeitet seit 20 Jahren in Istanbul und beschreibt im domradio.de-Interview die Situation.

Der Journalist und Kameramann Christian Feiland mit Cumhuriyet Chefredakteur Can Dündar (Frame34)
Der Journalist und Kameramann Christian Feiland mit Cumhuriyet Chefredakteur Can Dündar / ( Frame34 )

domradio.de: Wie erleben Sie als Journalist die Situation in der Türkei auf der Straße?

Christian Feiland (Journalist und Türkeikorrespondent): Was wir hier erleben, ist extrem intensiv, seit dem Putschversuch, der glücklicherweise nicht funktioniert hat. Da muss man den Menschen, die auf die Straße gegangen sind, die sich mutig den Soldaten entgegengestellt haben, allerhöchsten Respekt entgegenbringen. Wäre das nicht passiert, würde es jetzt wahrscheinlich noch ganz anders aussehen und es wäre noch schlimmer gekommen. Die Atmosphäre auf der Straße ist jetzt wieder relativ normal, man sieht kaum noch einen Unterschied. Die Menschen laufen wieder normal herum, alles wirkt entspannt. Nach wie vor sind die Busfahrten im Nahbetrieb kostenlos. Das soll bis heute Nacht bleiben und war beschlossen worden, damit die Menschen die Demokratie feiern können, damit sie weiter die Plätze besetzten können. So hat es die Regierung angepriesen. Oberflächlich wirkt also alles normal und entspannt. Aber es ist schon so, dass das Land - wie es vor dem Putsch schon war - stark polarisiert ist. Es wird zwar suggeriert, dass wir "eine Nation" sind und alle gegen den Putsch und hinter der Regierung stehen. Es sind auch tatsächlich fast alle gegen den Putsch - egal welche Partei und egal welches Lager. Aber es ist schon so, dass gerade in den ersten Tagen nach dem Putsch eine unvorstellbare Angst herrschte unter den westlich orientierten, modernen Türken, der Opposition, den Kritikern und auch den Kurden und dass jetzt dieser ganze Ausnahmezustand dazu benutz wird, um sie noch weiter zu bedrängen. Das sehen wir an den Zahlen und an vielen Einzelfällen.

domradio.de: Wie merken Sie das denn in Ihrer Arbeit als Journalist: Werden Sie eingeschränkt?  

Feiland: Psychologisch werden wir eingeschränkt. Wir als die "deutsche Presse" gelten ohnehin als die, die alles falsch darstellen. Gerade gestern Abend am, Taksim-Platz, den viele in Deutschland auch kennen, gab es eine große Leinwand-Veranstaltung. Ein paar Tausend Menschen waren dort. Es gab kostenlose Hotdogs zu essen - und da haben manche schon gesagt: "Ihr Deutschen! Im deutschen Fernsehen berichtet Ihr ja nur Quatsch. Ihr meldet, wir seien nicht zusammen - aber guckt doch mal: Hier sind wir, alle zusammen. Wir sitzen hier und sind eine Einheit hinter der Regierung." Die Fakten sind aber anders: Hier sind zwar einige Menschen, aber die Situation ist arrangiert. Es gibt viele, die nicht so denken und die angegriffen werden, wie zum Beispiel die Akademiker, die  im Januar oder Februar noch ein Friedensgesuch unterschrieben haben mit dem Appel den Konflikt im Südosten der Türkei zu lösen. Die wurden rigoros aus den Universitäten entlassen und angeklagt, sogar verhaftet. Eine Person, mit der ich gestern sprach, sagte dazu: "Die wollen einen anderen Frieden, die wollen nicht unseren Frieden."

domradio.de: Sie sagten, es gibt dort Treffen: Sind die arrangiert? Schickt die Regierung die Massen dorthin, um die psychologische Situation - "Wir, von der Regierung stellen die Mehrheit" - zu verbreiten oder kommen die Menschen aus eigenem Antrieb?

Feiland: Teils, teils. Es ist auf jeden Fall auch arrangiert. Allein, dass die Nahverkehrsmittel kostenlos sind, damit die Menschen ihren Demokratiepflichten nachkommen können, das spricht ja für sich. Es wird auch aktiv aufgerufen dazu: An den Bussen steht die Buslinie und wechselt sich ab mit dem Wort "Wir sind die Wächter der Demokratie". Also das wird massiv unterstützt. Die Medien suggerieren dazu, dass Millionen auf der Straße sind, aber es sind keine Millionen. Es sind viele, ja, aber viele werden auch mit Bussen angekarrt. Gestern Abend haben wir mit mehreren gesprochen - die kamen gar nicht aus Istanbul. Die wurden aus Gaziantep oder Çanakkale hergebracht. Viele, die anders sind, trauen sich nichts zu sagen. Genau das ist der Punkt: Die Atmosphäre ist okay, aber sobald man versucht, etwas Kritisches zu machen, ist Schluss mit lustig. Da traut sich also keiner, was zu sagen. Wir machen unsere Arbeit und werden dabei zwar kaum bedrängt - also das ist noch im Rahmen. Wir werden von der Polizei befragt und fotografiert. Das ist nicht schön, aber hinnehmbar. Wir finden allerdings keine kritischen Stimmen mehr für Interviews. Aus Angst vor Repressalien traut sich keiner mehr zu reden. Nicht nur das: Die Menschen gehen aus Angst zum Teil nicht mehr ans Telefon, wenn wir anrufen. Es werden also unsere Handynummern verteilt. Es herrscht eine große Angst, Die, die doch noch was sagen, sind die ganz Mutigen oder solche, die bereits einen Fuß im Ausland haben und bald weg sind. Das sind die, die resigniert haben und die schweren Herzens sagen: "Wir haben es versucht, aber werden gleich als Terroristen oder Vaterlandsverräter abgestempelt." Sobald wir etwas Kritisches sagt, gilt man als PKK-Terrorist oder als Gülen-Anhänger.

domradio.de: Nun haben wir vielleicht einen Ausläufer des Putschversuchs hier in Köln: Wie werden solche Ereignisse ein der Türkei gesehen?

Feiland: Da muss man abwarten, wie es sich entwickelt. Mehrere Zeitungen berichten hier, dass Erdoğan vor zwei, drei Tagen behauptet habe, die Türken in Deutschland dürften dort nicht demonstrieren und hätten keine Meinungsfreiheit - was natürlich für viele Deutsche schon sarkastisch klingt. Jemand meinte gestern zu: "Ich habe Verwandte in Deutschland und die sagen mir, dass die Medien von einer Flucht Erdoğan nach Deutschland berichtet hätte. Das ist gelogen. Oder dass die Medien schreiben, dass wir in der Türkei keine Einheit mehr sind - auch das ist gelogen." Wir müssen also abwarten, was morgen in den Zeitungen steht. Ein paar Oppositionszeitungen gibt es ja noch. Die regierungsnahen Blätter werden abwarten, was heute in Köln passiert. Ich hab gelesen, dass acht Wasserwerfer bereit stehen sollen - was für deutsche Verhältnisse eine große Nummer ist und für die Türkei fast Standard - ob die eingesetzt werden und je nachdem, was heute passiert, danach richtet sich dann die Berichterstattung in der Türkei.

domradio.de: Wird diese Bedrängung von Journalisten und Künstlern zunehmen? Wird das dauerhaft werden in der Türkei?

Feiland: Es ist schon lange so. Es ist ja nicht wirklich was Neues. Dieser Ausnahmezustand besteht ja schon seit fast einem Jahr in der Türkei. Seit etwa einem Jahr werden massiv Journalisten entlassen, Fernsehsender geschlossen und Akademiker eingeschüchtert. Zeitungen haben unter anderem einmal zehn Akademiker mit Adressen als "Vaterlandsverräter" ausgewiesen und in einem falschen Licht dargestellt. Das grenzt natürlich an einer Art Selbstjustiz. Nach diesem Schrecken "Oh je, ein Putsch" kam schnell ein "Sehr gut, der Putsch ist abgewendet". Aber jetzt ahnen alle, dass der Ausnahmezustand bedeutet, dass das, was vorher schleichend passiert ist nun völlig legitim und offiziell unterm Mantel der "Säuberung dieser Sekte" [gemeint sind insbesondere die Gülen-Anhänger] vorgeht, auch auf Politiker und andere Kritiker Auswirkungen hat. Es ist richtig, es muss gesäubert werden, das Netzwerk muss ausgesiebt und verhindert werden, aber problematisch ist, dass allgemein in der Opposition sehr viele aufgegeben haben. Ich selbst kenne dutzende Beispiele von Intellektuellen, die Stipendien annehmen, um das Land zu verlassen und im Ausland arbeiten wollen. Es kommt gerade leider zu einer Flucht der Intellektuellen.

Das Interview führte Christoph Paul Hartmann.


Nach gescheitertem Putschversuch / © Str (dpa)
Nach gescheitertem Putschversuch / © Str ( dpa )

Demonstranten in der Türkei / © Cem Turkel (dpa)
Demonstranten in der Türkei / © Cem Turkel ( dpa )
Quelle:
DR