Türkei nimmt fliehende Irak-Christen auf

"Warum verschließt Europa seine Türen?"

Mehr als eine Million Christen lebten vor der westlichen Invasion 2003 im Irak. Inzwischen ist mehr als die Hälfte geflohen, die meisten nach Syrien, Jordanien oder in den Libanon - weil dort auch Arabisch gesprochen wird. Türkisch kann kaum einer der Flüchtlinge. Und doch kommen immer mehr von ihnen in die Türkei.

Autor/in:
Bettina Dittenberger
 (DR)

Sabah Marqus Ewaz Bsholto hat es geschafft. Er muss nicht mehr um sein Leben fürchten. In seiner Heimat Bagdad konnte er nicht bleiben. Dort wurde er als Christ bedroht. Der irakische Händler ließ seinen Laden zurück und floh mit der Familie ins Nachbarland Türkei. Nun habe er sich um eine dauerhafte Bleibe in Australien beworben, berichtet der 51-Jährige. Bei der christlichen Hilfsorganisation KADER in Istanbul schaut Bsholto vorbei, um sich für die Beantwortung von Fragen der Australier beraten zu lassen. Eine Rückkehr in den Irak kommt für ihn wie für viele seiner Landsleute nicht in Frage. "Ich kenne viele, die raus wollen", sagt er.



Knapp 4.000 chaldäische Christen aus dem Irak dürften derzeit in der Türkei sein, schätzt Francois Yakan, Patriarchalvikar der chaldäisch-katholischen Kirche der Türkei und Leiter von KADER. Allein seit den jüngsten Angriffen auf Kirchen in Bagdad kamen mehr als 70 weitere christliche Familien mit insgesamt 300 bis 400 Personen in die muslimische Türkei. Hier können sie zumindest vorerst bleiben.



Die vom katholischen Hilfswerk missio finanzierten Räume von KADER in der Istanbuler Innenstadt bilden einen Anlaufpunkt für die irakischen Christen nach ihrer Flucht. Hier erhalten sie Hilfe bei der Anmeldung beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR; hier können sie Kleider, Medikamente und Lebensmittelkarten bekommen, wenn nötig. Und sie können die neuesten Nachrichten über die Lage im Irak austauschen. "Gestern sind 30 christliche Familien aus Mossul ins Umland geflohen", erzählt einer. "Wahrscheinlich wollen die auch bald aus dem Land raus."



Kein Verbleib für immer

Für immer können die Iraker nicht in der Türkei bleiben, weil Ankara keine Flüchtlinge aus dem außereuropäischen Raum anerkennt. Die Türken erteilen irakischen Christen jedoch bereitwillig Visa und erleichtern ihnen damit die Flucht aus der Gefahr in ihrem Heimatland. Gemessen am offenkundigen Unwillen der europäischen Staaten, sich der Iraker anzunehmen, sei das schon beachtlich, findet Yakan: "Europa nimmt nur ganz, ganz wenige. Warum, das verstehe ich nicht." Schließlich wisse doch jeder in Europa, wie die schlimm die Dinge im Irak stünden. "Die Türkei nimmt diese Flüchtlinge seit Jahren auf. Warum verschließt Europa denn seine Türen?"



Der Patriarchalvikar hält sich zurück und wählt seine Worte mit Bedacht. Er möchte nichts Ungerechtes sagen über die Europäer. Doch seine Verärgerung bricht sich Bahn. Neulich habe Frankreich mit großer Geste 150 Menschen aufgenommen. "Das war eine reine Medienaktion; so macht man keine humanitäre Hilfe", sagt er.



Praktische Hilfen

Durchschnittlich zwei bis drei Jahre warten die Iraker in der Türkei, bis sich ein Staat findet, der sie aufnimmt. In der Regel sind das die USA, Kanada oder Australien. Die türkischen Behörden dulden sie im Land; neulich ordnete das Bildungsministerium außerdem kostenfreien Unterricht für Flüchtlingskinder in staatlichen Schulen an. In einigen staatlichen Krankenhäusern können sich die Iraker gratis behandeln lassen.



Es sind solche praktischen Hilfen, die Yakan von der Türkei erfährt - während von Europa wenig zu sehen oder zu hören ist. "Die Türkei hat im Mai 170 Kinder ins Land geholt, als im Nordirak die Bomben explodierten. Sie hat 60 Verletzte einen Monat lang hier behandeln lassen, aber sie hat keinen Medienrummel daraus gemacht", sagt er.  "Die Türkei macht dauernd solche Sachen, aber die Europäer tun so, als gehe sie das alles nichts an."