In Tübingen soll bald Islamwissenschaft unterrichtet werden

Premiere in der Universitätsstadt

Der erste Fachbereich für Islam an einer deutschen Universität soll im Wintersemester 2011/12 in Tübingen seine Arbeit aufnehmen. Trotz Alternativen kam die lang erwartete und am Dienstag bekanntgegebene Entscheidung des Landeskabinetts alles andere als überraschend.

Autor/in:
Michael Jacquemain
 (DR)

Schließlich gehören die katholische und die evangelische Theologie in Tübingen seit Jahrzehnten zu den bundesweit herausragenden Fakultäten ihrer Zunft, die Orientalistik ist gut aufgestellt, und in der schwäbischen Universitätsstadt können auch viele der Sprachen erlernt werden, die für ein Verstehen des Islam hilfreich sind. Und zugleich war dort am stärksten der politische Wille der ganzen Universität erkennbar, das Projekt durchsetzen zu wollen. Nun können nach Jahrzehnten, in denen das Thema Integration politisch verschlafen wurde, Gemeindevorsteher und Religionslehrer in Deutschland ausgebildet werden. Damit verbindet sich vielerorts die Hoffnung, dass Imam-Importe vor allem aus der Türkei mittelfristig ein Ende haben können.



Rückblende: Im Januar hatte der Wissenschaftsrat die Ausbildung von Imamen und Religionslehrern empfohlen. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) sekundierte damals, für sie gehöre dieser Schritt "zu einer überzeugenden Integrationspolitik in modernen Gesellschaften". Der Wissenschaftsrat plädierte dafür, "Beiräte für Islamische Studien" einzurichten. Sie sollten bei der Gestaltung der Studiengänge und der Auswahl von Wissenschaftlern mitbestimmen. Aus religiösen Gründen könnten sie Einwände gegen Bewerber erheben. Den Beiräten sollten Verbandsvertreter, islamische Gelehrte und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angehören.



Wo einst Joseph Ratzinger Theologie lehrte

Dieser Schritt soll bis zum Jahresende abgeschlossen sein, zumal die vier muslimischen Dachverbände im Vorfeld einvernehmlich für Tübingen plädiert hatten. Dort fühlen sie sich ernst genommen. Im Endstadium sollen an der Hochschule, wo einst Joseph Ratzinger Theologie lehrte, an sechs Lehrstühlen 320 muslimische Studenten ausgebildet werden. Drei Professuren soll das Land zahlen, zwei der Bund und eine die Universität. Die Dekane der katholischen und der evangelischen Fakultät begrüßten die Pläne. Der Katholik Albert Biesinger betonte, die Entscheidung sei mit Blick auf die soziale Integration der Muslime richtig. Auch für gemeinsame Forschungsprojekte sei es wichtig, wenn es künftig qualifizierte muslimische Mitarbeiter gebe. Biesingers evangelisches Pendant Volker Drehsen freut sich ebenfalls auf den interreligiösen Dialog. Für Biesinger ist Tübingen nunmehr "der theologische Standort in Deutschland".



Das im Hintergrund stehende rechtliche Problem beim Aufbau von islamischen Fakultäten war viele Jahre, dass der Staat anerkannte islamische Religionsgemeinschaften als Partner brauchte, um mit ihnen Inhalte auszuhandeln. Der weltanschaulich neutrale Staat wollte über solche Fragen nicht selbst entscheiden müssen. Und die Muslime taten sich aus ihrem Selbstverständnis heraus schwer, analoge Strukturen zu den beiden großen Kirchen aufzubauen. So entstand die Behelfsidee der Beiräte.



Verena Wodtke-Werner, Direktorin der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, deren Haus den Dialog mit den Muslimen seit Jahren mutig vorangetrieben hat, zeigte sich sehr zufrieden mit der Kabinettsentscheidung. Tübingen sei "ein guter Ort", weil die Theologie dort "gut aufgestellt" sei. Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus und sein Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (beide CDU) werteten es als "Bekenntnis zur Integration", dass sich die größten islamischen Verbände gegen einen dauerhaften Zuzug von Imamen aus dem Ausland ausgesprochen hätten. Es sei im Interesse der rund vier Millionen Muslime in Deutschland und der ganzen Gesellschaft, dass "die bekenntnisgebundene wissenschaftliche Befassung mit dem Islam einen anerkannten Platz an unseren Universitäten erhält".