Trauer um Kardinal Schönborns Mutter Eleonore

Friedlich entschlafen

Der Krieg veränderte das Leben der Familie Schönborn von Grund auf. Die Mutter Eleonore hielt die Familie leidlich zusammen - und es sollten noch schwierige Jahre folgen. Nun ist sie mit fast 102 Jahren gestorben.

Autor/in:
Johannes Pernsteiner
Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn / © Cristian Gennari (KNA)
Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn / © Cristian Gennari ( KNA )

Eleonore Schönborn, die Mutter des Wiener Kardinals Christoph Schönborn, ist am Freitag im Alter von 101 Jahren gestorben. Sie sei im Vorarlberger Montafon "im Kreis der Familie friedlich entschlafen", teilte der Wiener Erzbischof der Presseagentur Kathpress mit. Er selbst habe die letzten Stunden an der Seite seiner Mutter verbracht, die am 14. April 102 Jahre alt geworden wäre.

"Es ist selten, dass man 77 Jahre alt wird und immer noch die Mutter hatte. Sie war eine starke Frau, eine faszinierende Persönlichkeit", so der Kardinal. "Nicht umsonst wurde sie von so vielen Menschen geschätzt und auch ehrlich geliebt. Sie war bereit für den letzten Gang und hat sich schon danach gesehnt, zu Gott heimzugehen."

Eleonore Schönborns 100. Geburtstag sollte groß gefeiert werden. Doch das geplante Familientreffen im Vorarlberger Montafon mit ihren Kindern Philipp (78), Christoph (77), Barbara (75) und Michael (68) und den Enkeln und 15 Urenkeln musste wegen der Pandemie verschoben werden.

Lange eine hochaktive Frau

Schönborns Bewegungsfähigkeit sank zuletzt stark. Sie erblindete fast völlig; für die hoch aktive Frau ein großer Einschnitt. Auch nach ihrem 90. saß die leidenschaftliche Kartenspielerin weiter selbst hinter dem Steuer und lernte entschlossen den Umgang mit E-Mail und Internet. Auch aus dem Rollstuhl referierte sie 2019 noch dem von ihr mitbegründeten Krankenpflegeverein - über "Einsamkeit im Alter".

Ein "hellwacher Geist" wurde ihr überall attestiert. Und große Gelassenheit, die sie in einem Interview zu ihrem 100. zutage legte: Der Erblindung verdanke sie, dass ihre Gebete "ehrlicher" geworden seien; dass sie nun endlich "in Ruhe über vieles nachdenken" und ihr Leben ordnen könne. Und sie betonte, dass ihr der Ausspruch "Wer an Gott glaubt, ist nie allein" des sieben Jahre und zwei Tage jüngeren emeritierten Papstes Benedikt XIV. eine große Stütze sei. Sie habe dieses Zitat oft gebraucht - wohl auch, um nachträglich die dunklen Zeiten der eigenen Vergangenheit zu verstehen.

Ihre Kindheit in Mähren beschreibt Schönborn als "wundervoll". Eleonore Freiin von Doblhof, so ihr Geburtsname, wird 1920 als jüngstes Kind einer Adelsfamilie geboren und besucht ein Internat für höhere Töchter. Nach dem frühen Tod des Vaters lernt sie um ihren 22. Geburtstag bei einer Party den Maler Hugo-Damian Schönborn kennen, der schon beim dritten Treffen um ihre Hand anhält. Sein Faible für moderne Kunst, Philosophie und Literatur fasziniert sie und lässt sie alle Vorbehalte der Verwandten überhören.

Glück nach der Hochzeit nur von kurzer Dauer

Das Glück ist nach der Hochzeit im Mai 1942 nur von kurzer Dauer. Hugo-Damian, der wie viele Adlige eine NS-Offizierskarriere ausschlug und einfacher Gefreiter blieb, wird an die Front nach Stalingrad einberufen. Er desertiert und läuft zur britischen Armee über, hat sich aber Tuberkulose eingehandelt, an der er lebenslang laborieren wird; zur Heilung wird er in die Schweiz geschickt. Inmitten der Wirren der Zeit bringt Eleonore im Januar 1945 Christoph Schönborn zur Welt.

Und dann, kurz nach Kriegsende, jener Moment, der für die damals 25-jährige Guts- und Schlossherrin alles verändert: Der Dorfgendarm steht an der Türschwelle von Burg Skalka bei Leitmeritz und teilt mit, die Familie müsse binnen einer Stunde das Land verlassen. Die sogenannten Benes-Dekrete in der Tschechoslowakei ordnen die Vertreibung aller Angehörigen der seit Jahrhunderten ansässigen deutschen und ungarischen Minderheit an.

Eleonore mit ihren Kindern im Schlepptau darf nur mitnehmen, was sie tragen kann - lässt aber in der Panik allen Familienschmuck zurück. Heimat, Heim, die beschützende Großfamilie und auch ihr Lebensplan - alles ist mit einem Schlag zerstört. Es folgt eine Odyssee über Verwandte in Niederösterreich nach Graz, wo sie auch ihren Mann wiedertrifft; schließlich ab 1950 nach Schruns im Vorarlberger Montafon, wo sie eine Arbeit findet.

Paar lässt sich einvernehmlich scheiden

Auch wenn in dieser Wanderzeit zwei weitere Kinder geboren werden, sei es die "dunkelste Etappe" ihres Lebens gewesen, sagte sie auch mit Blick auf die glücklose Ehe. Das Paar lässt sich 1958 einvernehmlich scheiden. Bei ihren Kindern hinterlässt das tiefe Spuren.

Ganz auf sich gestellt, verdient Eleonore Schönborn den Lebensunterhalt der Familie bei einer Textilfirma in Bludenz, wo sie 30 Jahre bleibt und bald Chefsekretärin und später Vorarlbergs erste Prokuristin und Pressesprecherin wird. Sie baut das Haus ihrer Familie, engagiert sich in Schruns in Pfarrei und Krankenpflege. Erst nach 25 Jahren - ihr Sohn Christoph ist 1970 zum Priester geweiht und zum Professor an der Schweizer Universität Freiburg ernannt worden - fühlt sie sich in der neuen Heimat integriert und nicht mehr als "Zugereiste".

Ihr politisches und kulturelles Interesse legte Eleonore Schönborn nie ab. Sie initiierte die Errichtung von Museen im Montafon und wurde dafür 1997 vom Land geehrt. Sie war hellhörig, als das Asylthema Österreich später erneut betraf. Plattformen, die sich gegen die Abschiebung von integrierten Flüchtlingsfamilien einsetzen, unterstützte sie vehement. "Niemand geht freiwillig von zu Hause weg", und: "auch ich war einmal Flüchtling", begründete sie dies aus ihrer eigenen Vergangenheit.

Angst, dass Christoph Papst wird

Internationale Schlagzeilen machte sie kurz vor ihrem 93. Geburtstag: Ihr Sohn, der Wiener Kardinal, wird nach dem Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. für dessen Nachfolge gehandelt. Die ganze Familie habe Angst davor, sagte sie. Christoph sei "viel zu gütig" für den Job, das Papstamt eine zu große Belastung für ihn.

Doch das Befürchtete trat nicht ein. Bis heute ist Schönborn Wiener Erzbischof. Christoph sei "immer ein sehr guter Sohn gewesen" und habe ihr stets sehr nahe gestanden, sagte sie. Und der Erzbischof verweist in seinen Predigten und Zeitungskolumnen oft auf die Mutter.

So erinnere sie ihn etwa stets daran zu lächeln - "dass die Mundwinkel oben bleiben, auch wenn einem gar nicht danach zumute ist".

Quelle:
KNA