Thierse gibt Medien Mitverantwortung für Demokratiezweifel

"Gefährlich-kritische Stimmung"

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gibt Medien in Deutschland eine Mitschuld. Sie seien "mitverantwortlich für diese gefährlich-kritische Stimmung gegenüber der Demokratie und den demokratischen Politikern".

Autor/in:
Corinna Buschow und Jens Büttner
Der Politiker Wolfgang Thierse am 28. Mai 2022 in Stuttgart / © Julia Steinbrecht (KNA)
Der Politiker Wolfgang Thierse am 28. Mai 2022 in Stuttgart / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Das sagte Thierse in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es irritiere ihn, "dass Journalisten nicht begreifen, dass sie den Ast absägen, auf dem sie selbst sitzen".

Der frühere Parlamentspräsident, der am 22. Oktober 80 Jahre alt wird, erklärte: "Aufgabe der Medien wäre es, komplexe Sachverhalte und Probleme ins Verständliche zu übersetzen." Weil dies mühselig sei, setzten sie lieber auf Streit, Personalisierung, Zuspitzung und Skandalisierung.

Fördert "eine latent demokratiefeindliche Stimmung"

"Damit wird ein eher negatives Bild von Demokratie vermittelt, das bei den Leuten Abwehr und Ablehnung erzeugt und eine latent demokratiefeindliche Stimmung mitbefördert", sagte Thierse. Selbst bei den seriösen Zeitungen habe er beispielsweise Probleme gehabt, herauszufinden, was beim Heizungsgesetz das Sachproblem war, ergänzte er.

Der SPD-Politiker äußerte sich insgesamt besorgt über die gesellschaftliche Stimmung. "Wir erleben Populismus und Extremismus, weil wir in Zeiten einer turbulenten Veränderungsdramatik stecken", sagte er.

Globalisierung, Migration, demografischer Wandel, Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und vor allem die Verhinderung der Klimakatastrophe verlange Änderungen "nicht nur der Politik, sondern auch der Produktions- und Konsumtions-, ja der ganzen Lebensweise".

Sie würden empfänglich für die einfachen Botschaften von Populisten

Das treffe auf Menschen, die angesichts dieser Dramatik verunsichert seien und Ängste hätten. Sie würden empfänglich für die einfachen Botschaften von Populisten, die schnelle Antworten versprächen. "Das kann Demokratie nicht", sagte Thierse.

Sie sei ihrer inneren Natur nach langsam. "Demokratie kann keine Wunder liefern", betonte Thierse, der 1998 bis 2005 Bundestagspräsident war und danach bis 2013 weiter dem Bundestagspräsidium angehörte. 

Quelle:
epd