Theologische Fachtagung zum Thema Liturgie

Gottesdienstformen auf dem Prüfstand

Messen, Pontifikalämter oder Vespern - das alles sind Gottesdienst- oder auch Liturgieformen. Um dieses Thema "Liturgie" dreht sich derzeit eine Fachtagung in Bensberg mit wissenschaftlichem Ansatz - und mit Nachholbedarf.

Gläubige im Gebet / © Harald Oppitz (KNA)
Gläubige im Gebet / © Harald Oppitz ( KNA )

domradio.de: Können Sie es ganz kurz auf den Punkt bringen, was Liturgie eigentlich ist?

Professor Benedikt Kranemann (Theologieprofessor in Erfurt und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft katholischer Liturgiewissenschaftler/AKL): Liturgie ist ein Fremdwort. Im Deutschen würde man Gottesdienst sagen. Ein Kind wird geboren und getauft, ein Mensch stirbt und wird beerdigt, die großen Feste wie Weihnachten und Ostern werden mit Gottesdiensten begangen: Das sind alles Beispiele für Liturgie. Hinzu kommen Dinge, die neu sind, wie beispielsweise so etwas wie eine Trauerfeier im Kölner Dom für die Opfer des Germanwingsabsturzes. Es ist also ein sehr breites Feld von unterschiedlichen Ritualen und Gottesdiensten, die mit ganz unterschiedlichen Lebenssituationen im Laufe des Tages, des Jahres oder des ganzen Lebens verbunden sind.

domradio.de: Jetzt findet gerade in Bensberg Ihre Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft katholischer Liturgiewissenschaftler statt. Da geht es besonders um Liturgiegeschichte. Gibt es dafür einen speziellen Anlass?

Kranemann: In den letzten Jahren hat sich der Blick auf die Liturgiegeschichte doch deutlich verändert. Jahrzehntelang hat man sehr stark mit schriftlichen Quellen gearbeitet, sehr stark die Perspektive von Klerikern, von Priestern im Blick gehabt. Wir fragen heute stärker, was es an Dokumenten gibt, die uns das Alltagsleben und den Gottesdienst im Alltag beschreiben. Wie haben Männer und Frauen in den verschiedenen Jahrhunderten Liturgie gefeiert? Was haben sie überhaupt im Gottesdienst wahrnehmen können? Was waren ihre Möglichkeiten, den Gottesdienst mitzugestalten? Von dort aus gewinnen wir einen neuen Blick auf die schriftlichen Quellen, aber auch auf Materialien, auf Orte, Spuren der Archäologie oder historische Räume, Romanik, Gotik und Barock. Das Bild der Liturgiegeschichte verändert sich dadurch doch sehr markant.

domradio.de: Welche Bedeutung hat Liturgie in unserem Leben überhaupt noch, wo doch nur noch maximal zehn Prozent der Katholiken sonntags in die Kirche gehen?

Kranemann: Ich denke dass es ein Irrtum ist, sich alleine nur an den Zahlen des Sonntagsgottesdienstes zu orientieren. Die haben sich natürlich ganz markant verändert, das ist gar keine Frage. Wenn man dann aber weiter schaut, wie viele Menschen an Taufen, Trauungen oder Beerdigungen teilnehmen, wie viele Menschen es gibt, die zu einem Mittagsgebet gehen, welche große Nachfrage bei ganz großen Katastrophen in der Gesellschaft nach Gottesdiensten besteht, dann merkt man doch, dass es da zum einen punktuell und zum anderen singulär auf Zeit doch eine Nachfrage nach Gottesdiensten gibt. Man könnte allgemeiner sagen, das sind religiöse Rituale, zu denen christliche Gottesdienste verschiedener Konfessionen mit eingerechnet werden können, die nach wie vor einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft haben, auch wenn beispielsweise die regelmäßige Teilnahme an der Sonntagseucharistie zurückgegangen ist.

domradio.de: Sie wollen außerdem ein "Netzwerk Liturgiewissenschaftlerinnen" gründen. Sind dann Liturgie-Frauen unter sich?

Kranemann: Das wird im Rahmen unserer Arbeitsgemeinschaft so sein. Wir haben in der gesamten Theologie das Anliegen, dass wir die Rolle von Wissenschaftlerinnen mit ihren eigenen Fragestellungen und auch ihrem spezifischen Blick auf Liturgie und ihre Quellen stärken wollen. Deshalb gibt es ein solches Netzwerk. Das ist zum einen ein Netzwerk, das durchaus die Karriere von Theologinnen begleiten und fördern möchte und das zum anderen auch die "Frauengeschichte" in der Liturgie stärker präsent halten möchte. Da haben wir im deutschen Sprachraum etwa im Unterschied zu den USA Nachholbedarf.

domradio.de: Was wollen Sie als Liturgiewissenschaftler in die Gesellschaft tragen?

Kranemann: Wir beschäftigen uns mit drei großen Feldern: Die Geschichte ist ein Feld, die Frage der theologischen Reflexion des Gottesdienstes mit dem Blick auf das Christentum, auf das Judentum und den Islam ist ein weiteres und schließlich als drittes Feld haben wir noch die Pastoral. Das beschäftigt sich mit dem Thema, wie gottesdienstliches Leben heute aussieht. Was gibt es an neuen Bedürfnissen und Möglichkeiten? Ein Anliegen unseres Faches ist es, aus der Kenntnis der Geschichte heraus Anregungen zu geben und Kriterien zu liefern, wie heute in einer sehr stark säkularisierten Gesellschaft gottesdienstliches Leben so aussehen kann, dass es nicht nur für den engeren Kreis der Kerngemeinden interessant ist, sondern in schwierigen Lebenssituationen, im Guten wie im Schlechten den Menschen Hilfestellung im Alltag sein kann.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

 

Prof. Benedikt Kranemann / © Harald Oppitz (KNA)
Prof. Benedikt Kranemann / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR