Theologin forscht zu künstlicher Intelligenz und Religion

"Entwicklungen ethisch verantwortungsvoll begleiten"

Mit künstlicher Intelligenz wird aktuell auch in Gottesdiensten experimentiert. Die Theologin Anna Puzio sieht noch viele Möglichkeiten, wie KI und Religion miteinander verbunden werden können. Nicht nur beim Thema Gottesdienste.

Segensroboter Bless U2 in der Oelder Stadtkirche / © Veronika Seidel Cardoso (DR)
Segensroboter Bless U2 in der Oelder Stadtkirche / © Veronika Seidel Cardoso ( DR )

DOMRADIO.DE: Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel "Alexa, wie hast du's mit der Religion?". Können Sie das in so ein paar Sätzen beantworten?

Dr. Anna Puzio (Theologin und Forscherin): Wir haben in dem Buch Religion, KI und Technik miteinander in Verbindung gesetzt. Wir reflektieren hier aus theologischer und philosophischer Perspektive und gehen davon aus, dass KI relevant für Theologie ist und umgekehrt.

Das sieht man zum Beispiel daran, dass im ganzen Technikdiskurs zahlreiche religiöse Motive auch rezipiert werden. Und tatsächlich reflektieren wir nicht nur Sprachsysteme wie Alexa, sondern der Fokus liegt primär auf Medizintechnologien, auch autonomen Waffensystemen und Robotern.

Dr. Anna Puzio, Theologin

"Wir sollten KI nicht an eine hierarchische Position stellen, sondern auf die Gemeinschaft ausrichten."

Und hier reflektieren wir aus der Sicht der Ethik, der Anthropologie oder der Praxis. Interessant ist an der Frage "Alexa, wie hast du es mit der Religion", dass diese natürlich dialogisch gestellt ist, also schon ein technologisches Gegenüber adressiert.

DOMRADIO.DE: Es treten ja immer mehr Menschen aus der Kirche aus. Kann KI dazu beitragen, spirituelles Wachstum oder auch die Gemeinschaft wieder zu fördern?

Puzio: KI wird Kirchenaustritte nicht verhindern können, aber es kann zum Beispiel KI benutzt werden, um neue Formen auszuprobieren. Es geht hier nicht darum, zwischenmenschliche Beziehungen zu ersetzen, sondern Technik dafür zu nutzen, was sie besonders gut kann.

Ein Avatar predigt von einer Leinwand, der Text stammt von einer Künstlichen Intelligenz (KI); während eines Gottesdienstes in der Kirche Sankt Paul auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg / © Beate Laurenti (KNA)
Ein Avatar predigt von einer Leinwand, der Text stammt von einer Künstlichen Intelligenz (KI); während eines Gottesdienstes in der Kirche Sankt Paul auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg / © Beate Laurenti ( KNA )

Gerade im Blick auf die von Ihnen erwähnten Problemsituation, geht es nicht darum, die gewohnten Strukturen mit KI zu reproduzieren, sondern diese aufzubrechen. Das heißt, wenn KI zum Beispiel nicht den Gottesdienst leitet, sondern wir KI interaktiv nutzen, um gemeinsam als Gemeinschaft Gottesdienst zu feiern, neue kollektive Formen finden.

Also nicht KI an eine hierarchische Position stellen, sondern gerade auf diese Zwecke, die wir erwähnt haben, zum Beispiel auf die Gemeinschaft ausrichten. Und an vielen anderen Stellen habe ich auch aufgezeigt, wie KI benutzt werden kann, um Kirche inklusiver zu gestalten.

DOMRADIO.DE: Welche Auswirkungen hat denn die KI auf religiöse Rituale oder auf Gottesdienste, außer dass die KI eine Predigt schreiben kann?

Der humanoide Roboter Ameca auf der Messe AI for Good in Genf. / © Christiane Oelrich (dpa)
Der humanoide Roboter Ameca auf der Messe AI for Good in Genf. / © Christiane Oelrich ( dpa )

Puzio: Es sind ganz viele neue Praktiken und neue Formen von Religion und gelebten Glauben und Spiritualität möglich. Sie kann dazu genutzt werden, die Pluralität, die wir haben, des praktizierten Glaubens von religiösen Erfahrungen, eine neue Verbindung zu schaffen, neue Zugänge zu finden. Und zwar kann KI gerade personalisierte, individuelle Angebote machen.

Es ist es möglich, digitale Gestaltungsräume für Trauer zu schaffen. Das kann ganz persönlich werden. Man schämt sich nicht vor der KI. Man kann alles sagen, auch anonyme Angebote ermöglichen. Und auch mit KI sind Interaktion und Kommunikation möglich, wenn auch das eben andere Formen der Interaktion und Kommunikation sind. Aber auch sie können vorteilhaft sein und neue Praktiken, neue Zugänge schaffen.

Dr. Anna Puzio, Theologin

"Sollten Roboter im Krankenhaus nicht auch religiöse Themen aufgreifen?"

DOMRADIO.DE: Es könnte auch möglich sein, dass man virtuelle Räume betritt, zum Beispiel im Falle von Trauer.

Puzio: Genau das gibt es tatsächlich schon. Es gibt eben diese Branche der "Death Technologies" oder "Grief Technologies", wo es einerseits möglich ist, digitale Trauerräume zu schaffen, wo man personalisierte Gegenstände hochlädt oder Avatare hat. Oder es gibt auch die Möglichkeit, virtuell an Trauerfeiern teilzunehmen.

DOMRADIO.DE: Gibt es da Bedenken hinsichtlich Authentizität und Spiritualität?

Puzio: KI wird nicht für das Authentizitätproblem der Kirche verantwortlich sein, das haben wir schon lange. Bislang ist es so, dass KI wenig persönlich ist; zeigt wenig Emotion, Mimik, Gestik, Körperbewegungen. Das klappt alles noch nicht ganz und sie bringt auch keine Lebenserfahrung mit.

Roboter Pepper, der für den Einsatz in Pflegeheimen programmiert werden soll / © Nadine Vogelsberg (KNA)
Roboter Pepper, der für den Einsatz in Pflegeheimen programmiert werden soll / © Nadine Vogelsberg ( KNA )

Gerade diese eigenen Erfahrungen aber, die diese mit dem Glauben verbinden, ist uns wichtig. Und das kann sich irgendwann ändern, wenn die Technik weiter fortgeschritten sein wird. Vielleicht bleiben wir aber auch bei den menschlichen Erfahrungen.

DOMRADIO.DE: Jetzt gibt es auch religiöse Roboter, die haben wir auch schon in Kirchen erleben dürfen. Wie stehen Sie denn dazu?

Puzio: Ich forsche zu religiösen Robotern. Das sind Roboter, die religiöse Funktionen haben oder für religiöse Zwecke eingesetzt werden. Es geht also nicht darum, dass diese Roboter eine Religion haben. Und tatsächlich stehen diese Roboter schon in einigen religiösen Gemeinschaften, wenn auch im christlichen Raum, noch nicht weitverbreitet. Und diese Roboter können Gottesdienste führen, können religiöse Gebete, Rituale begleiten, Gespräche führen, im Krankenhaus und Bildung eingesetzt werden.

Dr. Anna Puzio, Theologin

"Ich würde immer den Blick auf die Gestaltung in den Vordergrund rücken."

Es geht immer darum, für welchen Zweck, in welchem Kontext diese Roboter eingesetzt werden. Aber es sind durchaus sehr viele Kontexte denkbar, in denen der Einsatz eines solchen religiösen Roboters auch sinnvoll ist.

Zum Beispiel in den Krankenhäusern wird der Einsatz von sozialer Robotik diskutiert. Das sind Roboter, die auf soziale Interaktion programmiert sind, die Menschen, Patienten, Patientinnen im Krankenhaus begleiten. Und da stellt sich auch die Frage: Sollten diese Roboter nicht auch religiöse Themen aufgreifen oder religiöse Bezüge herstellen, ein Gesprächsangebot schaffen, wenn sie im Einsatz sind? Zumal es gerade in der Krankenhaus-Situation um existenzielle Fragestellung geht.

Roboter im Gesundheits- und Pflegebereich / © Andrey_Popov (shutterstock)
Roboter im Gesundheits- und Pflegebereich / © Andrey_Popov ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sehen Sie da eher Vorteile oder sehen Sie eher Gefahren auf uns zukommen?

Puzio: Ich würde nicht die Frage nach Gefahren in den Vordergrund stellen, sondern KI bringt gewisse ethische Herausforderungen und Aufgaben für uns mit. Ich würde immer den Blick auf die Gestaltung in den Vordergrund rücken und schauen, für welche Zwecke sollten wir KI einsetzen? Welche Zwecke brauchen wir? Wie sollten wir KI-Entwicklungen ethisch verantwortungsvoll begleiten? Und dann auf die Chancen fokussieren.

Das Interview führte Oliver Kelch.

Das Buch "Alexa, wie hast du's mit der Religion?" ist im Verlag "wbg Academic" erschienen und kostet 48 Euro.

Was ist Künstliche Intelligenz?

Der Begriff Künstliche Intelligenz (KI) wurde vor mehr als 60 Jahren geprägt durch den US-Informatiker John McCarthy. Er stellte einen Antrag für ein Forschungsprojekt zu Maschinen, die Schach spielten, mathematische Probleme lösten und selbstständig lernten. Im Sommer 1956 stellte er seine Erkenntnisse anderen Wissenschaftlern vor. Der britische Mathematiker Alan Turing hatte sechs Jahre zuvor bereits den "Turing Test" entwickelt, der bestimmen kann, ob das Gegenüber ein Mensch ist oder eine Maschine, die sich als Mensch ausgibt.

Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser (shutterstock)
Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser ( shutterstock )
Quelle:
DR