Theologen und Künstler interpretieren Judas immer wieder neu

Verräter oder tragische Gestalt?

Der "Judas-Lohn" oder der "Judas-Kuss" sind schon lange sprichwörtlich geworden. Doch wer war der Mann, der Jesus verraten hat? Fest steht, dass er in allen Zeiten die Gemüter von Künstlern, Wissenschaftlern und Schriftstellern bewegt hat.

Judaskuss / © public domain
Judaskuss / © public domain

Er galt als Verräter schlechthin. Begriffe wie "Judas-Lohn" und "Judas-Kuss" sind sprichwörtlich geworden. "Wer war ihr Judas?" titelte im Frühjahr 2005 eine Zeitung, nachdem ein unbekannter SPD-Abgeordneter Heide Simonis seine Stimme bei der Wahl zur Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein versagte. 

Schon die vier Evangelien zeichneten den Apostel Judas Iskariot, der Jesus verriet, in zunehmend düsteren Farben und lieferten damit auch die Blaupause für jahrhundertelangen kirchlichen Antijudaismus. Die alten Bilder haben sich tief eingeprägt: Rembrandt zeigt Judas, wie er seine Silberstücke wegwirft. Dante lässt ihn in seiner "Göttlichen Komödie" in Satans Maul im untersten Kreis der Hölle schmachten.

Judas, der Teufelsgehilfe

Und was für Judas galt, wurde auf alle Juden übertragen: Das Klischeebild vom Juden, der schachert und durch unsaubere Machenschaften auffällt, erwies sich als tödliches Erbe für Millionen. Schon Papst Gelasius (492-496) hat diese Beziehung hergestellt, weil "Judas, der Teufelsgehilfe, seinen verruchten Namen dem ganzen Judenvolk vererbt hat".

Wer der historische Judas wirklich war, lässt sich kaum rekonstruieren. Zu widersprüchlich ist das Bild, das die vier Evangelisten in den insgesamt 22 Textstellen zeichnen, in denen sie ihn namentlich erwähnen. Einigermaßen sicher ist, dass Judas nicht aus Galiläa stammte, sondern dass der Name auf eine Herkunft aus Judäa deutet. Übereinstimmend berichten die Evangelien auch, dass Jesus ihn fast bis zuletzt im Kreis seiner Apostel behielt.

"Einer der Zwölf" oder "Sohn des Verderbens"?

"Je später ein Evangelium geschrieben wurde, desto negativer das Bild von Judas», hat der Chicagoer Neutestamentler Hans-Josef Klauck in der Zeitschrift "Bibel heute" festgestellt. Beim ältesten Evangelium nach Markus kommt Judas noch am besten weg: Drei Mal betont Markus, dass Judas "einer der Zwölf" war. Auch gilt er nicht wie bei Lukas als "Verräter", sondern als Werkzeug Gottes. Anders als Matthäus und Johannes unterstellt Markus ihm auch keine Geldgier als Motiv. Er berichtet auch nichts vom Ende des Judas. Bei Matthäus erhängt sich der Übeltäter aus Reue; in der Apostelgeschichte des Lukas bricht sein Leib nach einem Sturz auseinander - Zeichen des Strafgerichts Gottes. Am härtesten zeichnet das Johannes-Evangelium den Judas: Er wird als "Sohn des Verderbens" beschrieben, von dem der Teufel Besitz ergreift. 

Rehabilitation für den Verzweifelten

Trotz dieses harten Schuldspruchs: Heutige Theologen, Künstler und Schriftsteller sehen den Apostel mit mehr Wohlwollen. In Walter Jens 1975 erschienenem Buch "Der Fall Judas" fordert ein verzweifelter Judas seine Rehabilitation: Er sei nicht ein Verräter, sondern ein fester Posten in Gottes Rechnung mit der Menschheit. Eric-Emmanuel Schmitt macht Judas in seinem 2005 erschienenen Roman "Das Evangelium nach Pilatus" sogar zum Lieblingsjünger. Jesus selbst habe ihn schließlich zum Verrat aufgefordert und ihn somit zum Werkzeug der Erlösung gemacht.

Enttäuschte messianische Erwartung

Ein ähnliches Bild zeichnet nach Darstellung mancher Wissenschaftler auch das sogenannte Judasevangelium, eine Schrift, die wahrscheinlich Mitte des zweiten Jahrhunderts in einer gnostischen Sekte verfasst wurde, bis in die 1970er Jahre als verschollen galt und bei ihrer Veröffentlichung im Jahr 2006 für Aufsehen sorgte. Allerdings gibt es Streit um die Übersetzung und Interpretation: Neuere Übersetzungen lassen Zweifel aufkommen, ob Judas dort wirklich als engster Freund Jesu dargestellt werde.  

Politisch argumentiert der britische Bestsellerautor und Politiker Jeffrey Howard Archer in seinem Buch "Das Evangelium nach Judas, von Benjamin Iskariot". Bei Archer liefert Judas Jesus nicht aus Geldgier an die Schergen des Hohen Rates aus, sondern wegen "enttäuschter messianischer Erwartungen".


Quelle:
KNA