Theologe Tück skizziert die Anstößigkeit des Kreuzes

Vom Folterpfahl zum Lebensbaum

Das Kreuz ist ein Spiegel abgründiger Gewalt. In den Kreuzzügen wurde es missbraucht. Heute segnet Kyrill mit dem Kreuz russische Waffen. Taugt es noch als Hoffnungssymbol? Ja, sagt der Theologe Jan-Heiner Tück.

Autor/in:
Johannes Schröer
Ein Kreuz mit Jesusdarstellung am Wegesrand / © FooTToo (shutterstock)
Ein Kreuz mit Jesusdarstellung am Wegesrand / © FooTToo ( shutterstock )

Kruzifixe provozieren, indem sie einen unschuldig Leidenden zeigen, eine Folterszene. Das hat Kritik von Psychologen und Pädagogen hervorgerufen. Ist das Kreuz besonders für Kinder, für Jugendliche überhaupt noch zumutbar? Zudem verschwindet es immer mehr aus öffentlichen Räumen und auch in Privathaushalten ist es immer seltener zu finden.

Jan-Heiner Tück ist Professor am Institut für Systematische Theologie und Ethik der Universität Wien. Als das Rektorat der Universität beschloss, die Hörsäle fächerübergreifend nutzen zu wollen, mussten die Kreuze von den Wänden verschwinden. Die weiße Wand betrachtete Professor Tück als eine Herausforderung, über das Kreuz als ein anstößiges Symbol neu nachzudenken. “Crux. Über die Anstößigkeit des Kreuzes”, heißt sein Buch.

Das Kreuz ist Kindern zumutbar

Im DOMRADIO.DE Interview erläutert er, warum auch Kindern die Folterszene eines unschuldig Leidenden zumutbar ist. “Ich halte es für ganz wichtig, Kindern frühzeitig auch die dunklen Seiten der Wirklichkeit zu erklären. Denn Kinder haben ein waches Gespür dafür, dass die Welt nicht nur heil ist. Im Zeigen der Passion Jesu hat die Erfahrung des Dunklen auch einen klaren Ort. Wenn man das auch mit dieser Trias verbindet: Leben, Tod und österliche Auferweckung, dann hat das einen Sinnbogen, der auch Kindern durchaus vermittelbar ist”.

Das Kreuz ist theologisch umstritten

Das Kreuz ist in der Kritik. Häufig ist es in der Historie missbraucht worden, in den Kreuzzügen, dann als antijudaistisches Symbol, jahrhundertelang sind Juden als Gottesmörder beschimpft worden. Und heute segnet  Patriarch Kyrill mit dem Kreuz russische Waffen für den Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Taugt es überhaupt noch als ein Symbol, das Hoffnung bringen soll? Denn auch theologisch wird das Kreuz kritisiert. Wird hier nicht ein sadistisches Gottesbild gezeigt? Braucht der Vater etwa das Opfer des eigenen Sohnes, um sich über den Zorn, über die Sünden der Menschen besänftigen zu lassen? Nicht Gott brauche das Opfer, sagt Tück, sondern der Mensch benötige das Angebot Gottes, um aus seinem Schlamassel herauszukommen.

Am Kreuz werde ihm gewissermaßen ein Ausweg gewiesen. “Christus tritt am Kreuz an die Stelle derer, die aufgrund eigener Schuld in den Status der Verlorenheit gekommen sind und an diesem Ort der Verlorenheit einen Weg aus dieser Ausweglosigkeit bahnt. Und zugleich ist er am Kreuz derjenige, der mit den Leidenden solidarisch ist, so dass er den Entmündigten das gibt, was ihnen sonst vorenthalten wird: Würde”.

Das Kreuz als Appell zur Solidarität

Gerade wegen aller durchaus berechtigter Kritik am Symbol des Kreuzes gilt es heute, das Kreuz und seine Bedeutung wieder neu zu entdecken, sagt Tück, denn indem es einen Leidenden zeige, provoziere es eine Gesellschaft, die das Leid gerne verdränge.

“Es zeigt einen Verwundeten. Wir, die wir auch die eigene Verwundbarkeit gerne vertuschen, werden ermutigt, diese Verletzlichkeit durchaus zu thematisieren, die Leidenden nicht aus dem Fokus der Aufmerksamkeit herauszunehmen, sondern den Stimmlosen eine Stimme zu geben. Da steckt also der praktische Appell zur Solidarität mit den Leidenden mit drin”.

Das Kreuz in Kunst und Geschichte

In seinem Buch “Crux” denkt Tück nicht nur theologisch über das Symbol des Kreuzes nach, sondern auch in anderen Disziplinen, in Kunst, Musik, Literatur und Philosophie. Denn Kreuze hat es schon lange vor dem Christentum gegeben, auch in der Kultur der Jäger und Sammler, als Markierungszeichen  oder als Geborgenheitssymbol.

Spannend ist auch, wie die katholischen Kirchenväter im Dialog mit der griechischen Philosophie Mythen aufgreifen und in diesen Mythen Vorausdeutungen auf das Kreuz finden. “Es gibt in Platons Politeia einen Dialog zwischen Sokrates und Glaukon,” erläutert Tück, “über den wahrhaft Gerechten in einer ungerechten, von Korruption erschütterten Welt. Und dann wird die Frage erörtert: Wie wird es einem wahrhaft Gerechten wohl ergehen? Und interessant ist, dass Platon hier dem wahrhaft Gerechten prognostiziert, dass er verlacht, verhöhnt, am Ende gegeißelt und gekreuzigt wird”.

Das Kreuz ein Symbol für eine Kultur der Vergebung

Das Kreuz provoziert, es fordert uns heraus, es hat uns auch heute viel zu sagen, wenn wir es ernst nehmen – und nicht als folkloristisches Modeaccessoir degradieren. Denn das Kreuz spiegele uns in einer Welt, in der alles Machbar scheint, unsere eigene Fehlbarkeit und auch Anfälligkeit, schuldig zu werden, sagt Tück: “Wir sind nicht so perfekt, wie wir gerne sein würden. Wir sind alle Meister, in der Kunst, andere zu bezichtigen. Dieser Mechanismus wird in der Betrachtung des Gekreuzigten unterbrochen und zugleich werden wir angeleitet zu einer Kultur der Vergebung, die den anderen nicht festlegt auf das, was er verbockt hat, sondern ihm einen Raum gibt, mit seinen Fehlern so umzugehen, dass er sich bessert”.

Quelle:
DR