Theologe sieht UN-Meeresschutzabkommen als Meilenstein

"Riesiger Schritt für die Menschheit"

Mitgliedsländer der Vereinten Nation haben sich diese Woche über ein wegweisendes Abkommen zum Schutz der Weltmeere geeinigt. Experte Rainer Hagencord erklärt die Bedeutung der Einigung, die wenig öffentliche Resonanz bekommen hat.

Schutz der Hochsee / © Jose Jacome/epa efe (dpa)
Schutz der Hochsee / © Jose Jacome/epa efe ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie würden Sie das Meeresschutz-Abkommen denn einordnen? Wie groß ist der Meilenstein?

Rainer Hagencord, Theologe und Biologe, sowie Leiter des Instituts für Theologische Zoologie / © Lars Berg (KNA)
Rainer Hagencord, Theologe und Biologe, sowie Leiter des Instituts für Theologische Zoologie / © Lars Berg ( KNA )

Dr. Rainer Hagencord (Leiter des Institutes für Theologische Zoologie in Münster): Das Wort Meilenstein nehme ich gerne auf. Ich habe wahrgenommen, dass unsere regionale Presse hier in Münster das noch nicht einmal aufgenommen hat. Das Ganze ist ein tatsächlich riesiger Schritt für die Menschheit, ist aber auch in einem Themenkatalog, der in der Gesellschaft vielleicht gar nicht so tief verankert ist. Nach dem Motto: Wir haben doch mit unserer Klimakatastrophe und natürlich auch mit dem Krieg jetzt so viel zu tun. Was gehen uns denn jetzt noch die Wale, Robben und Pinguine etwas an? So würde ich es mal ein bisschen salopp sagen.

Damit haben wir im Grunde das Problem auch benannt. Wir stehen jetzt in einer Zeit, das sagen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, in der die Klimakatastrophe uns mit der Frage konfrontiert, wie wir denn als Menschen überleben wollen. Die Vernichtung der Tiere und ihrer Lebensräume stellt uns vor die Frage, ob wir als Mensch überhaupt noch eine Chance haben.

Die Antwort ist relativ einfach. Wenn wir alle anderen Arten vernichten und auch die in den Meeren, dann hat die Art Homo sapiens kaum noch eine Chance. Das wird kaum diskutiert. Dahinter steht eben auch ein bestimmter philosophischer Ansatz oder auch einer, der die Theologie berührt. Also im herkömmlichen christlichen Menschenbild steht eben jener im Mittelpunkt und all die anderen sind eigentlich nur Kulisse. Und wenn wir die verlieren, was soll's?

DOMRADIO.DE: Welche Auswirkungen hat das Abkommen?

UN einigen sich auf Abkommen zum Schutz der Hochsee

Mitgliedsländer der Vereinten Nation haben sich auf einer Regierungskonferenz in New York über ein Abkommen zum Schutz der Weltmeere geeinigt. Das neue UN-Hochseeschutzabkommen werde künftig auf über 40 Prozent der Erdoberfläche bedrohte Arten und Lebensräume besser sichern, teilte das Bundesumweltministerium am Sonntag in Berlin mit.

Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York / © Johannes Schmitt-Tegge (dpa)
Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York / © Johannes Schmitt-Tegge ( dpa )

Hagencord: Das Stichwort des Wilden Westens ist dafür sehr treffend. Es geht jetzt um die rechtsfreien Räume und wir reden von einem Dreiviertel unserer Erde, die aus Wasser besteht. Dazu zählen auch die Meere. Wir wissen, das sagen auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, inzwischen mehr über den Mond und den Mars als über das, was da auf dem Meeresgrund stattfindet.

Was wir aber wissen, ist, dass wir hier die Wiege der gesamten ozeanischen, marinen Flora und Fauna haben, zusätzlich zu dem, was in der Arktis und der Antarktis geschieht. Das heißt, wenn jetzt diese großen Flächen unter Schutz gestellt werden, dann hört eines sicherlich auf, nämlich der ungebremste Fischfang.

Die Fischbestände sind ja an vielen Stellen schon erschöpft und das hat auch und vor allem auch mit der EU zu tun.

Und da sind wir in dem politischen Thema. Denn viele Anrainer an die Meere sind Länder des so genannten globalen Südens. Die leben oftmals vom Fischfang. Wenn also jetzt die Marine, Flora und Fauna zusammenbricht, dann haben wir nicht nur ein Problem mit den Tieren und Pflanzen, sondern letztlich ein riesiges globales Problem.

Nicht zuletzt kommt alles Leben aus dem Meer. Wenn wir die Lebewesen im Meer vernichten, ihnen die Lebensräume nehmen, dann heißt das am Ende auch, dass wir keine Chance mehr haben. Es handelt sich um eine sehr, sehr zentrale Frage.

Sie knüpft an eine andere Entscheidung, die im Dezember gefallen ist. Das ist mehr diskutiert worden. Im Dezember haben sich die Staaten der Welt in Montreal auf ein Abkommen geeinigt. Das besagt, 30 Prozent der Lebensräume bis 2030 zu schützen. Und das ist der mindestens genauso große Meilenstein, der nun gesetzt worden ist.

DOMRADIO.DE: Wie lange dauert es denn, bis sich die Fischbestände und das Ökosystem wieder erholt haben?

Hagencord: Es gibt da schon sehr, sehr hoffnungsvolle Projekte, die überall auf der Welt stattfinden, seit etwa 20 Jahren von der Wiederansiedlung von Korallen bis zum Schutz bestimmter Fischbestände und einem Fangverbot über bestimmte Zeiten. Es ist schon viel passiert, das auch die Hoffnung stark macht. Aber dennoch ist es gerade so rapide mit dem Verlust der Lebensräume, dass man nicht sehr optimistisch sein kann.

DOMRADIO.DE: Geht Ihnen das Abkommen da nicht weit genug?

Hagencord: Das Abkommen an sich birgt immer noch einige Schlupflöcher. Ich möchte noch mal ein anderes Problem dazulegen, was eher mit dem Schutz von Lebensräumen auf der Erde zusammenhängt. Denn der Schutz ist mindestens genauso wichtig.

Auf Europa bezogen: Wenn jetzt das durchgesetzt wird und wir 30 Prozent der Lebensräume in Europa unter Schutz stellen, dann sind das ja oftmals landwirtschaftlich genutzte Flächen. Wenn aber die EU-Subventionen weiterhin in der Weise ausgeschüttet werden, dass fast ausschließlich die großen industriebetriebenen, landwirtschaftlichen Betriebe unterstützt werden und nicht die kleinen und mittelständischen Betriebe, die ökologisch arbeiten, und im Moment ist das noch so, konterkariert diese Subventionspolitik der EU absolut dieses Vorhaben.

Wie will man denn 30 Prozent der Ackerflächen, der Wald- und Wiesenflächen unter Schutz stellen, wenn weiterhin hier Pestizide, Fungizide und all das vorangetrieben wird, was die industrielle Landwirtschaft auf den Weg bringt?

Hier müssten dringend noch verschiedene andere Elemente dazukommen, dass wir den Schutz der Lebensräume tatsächlich hinbekommen.

DOMRADIO.DE: Ist es auch ein Problem, dass man in den Gebieten, die jetzt unter Schutz gestellt werden, die verabredeten Regeln schwer kontrollieren kann?

Hagencord: Ja, die Kontrolle ist das eine. Und es ist damit nicht gemeint, dass jetzt 30 Prozent der Lebensräume in Europa ab morgen in keiner Weise mehr bewirtschaftet werden dürfen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir wissen, dass verschiedene, nachhaltig betriebene landwirtschaftliche Flächen eine enorme Artenvielfalt auf den Weg bringen.

Diese Flächen gilt es natürlich zu stärken. Das heißt nicht 30 Prozent der Lebensräume bitte von Menschen freihalten. Nein, wir müssen diese Flächen auch weiterhin nachhaltig ökologisch nutzen und das halte ich auch für machbar. Also, ich bin da weiterhin ein Mann der Hoffnung, der sagt, das können wir noch hinkriegen.

Dr. Rainer Hagencord, Theologe

"Die Kirchen könnten jetzt Wesentliches dazu beitragen, dass es zum Schutz dieser Lebensräume kommt, in Bildungsarbeit, aber auch in ihrer Macht über Äcker, Wälder und Kantinen."

DOMRADIO.DE: Jetzt ist der Vatikanstaat nicht Mitglied der UN. Aber inwiefern ist da eine Unterstützung von Kirche und Papst auch in solchen vermeintlichen politischen Fragen wichtig?

Hagencord: Wir haben immerhin die Enzyklika "Laudato si", also das Lehrschreiben des Papstes, die Sorge um unser gemeinsames Haus von 2015. Dieses Dokument schreit im Grunde weiterhin nach einer Umsetzung, nach einem Masterplan. Denn ich gucke jetzt dezidiert auf unsere Situation hier in Deutschland. Und ich schaue auch auf die Tatsache, dass viele Bistümer und Gemeinden noch unendlich viele Flächen haben, die sie verpachten. Das heißt, da könnten Pachtverträge ausgehandelt werden. Die Kirche könnte an der Stelle die Enzyklika umsetzen.

Das zweite betrifft die Kantinen. Hier in Münster gibt es kaum ein Altenheim, eine Kita oder ein Krankenhaus, das nicht in kirchlicher Trägerschaft ist. Auch hier gilt es dringend, dass die Betreiberinnen und Betreiber mit ökologisch nachhaltig arbeitenden Landwirten und Landwirtinnen zusammenarbeiten. Dass wir hier die Küchen verändern bis ins Bildungsprogramm, in Erstkommunion, Katechese, Firmung und Religionsunterricht.

Die Kirchen könnten jetzt Wesentliches dazu beitragen, dass es zum Schutz dieser Lebensräume kommt, in Bildungsarbeit, aber auch in ihrer Macht über Äcker, Wälder und Kantinen.

Das Interview führte Bernd Hamer.

Quelle:
DR