DOMRADIO.DE: Sie haben rund 900 Folgen von Serien wie "Hubert und Staller" oder dem "Großstadtrevier" für Ihr Forschungsprojekt angeschaut. Hat es auch ein bisschen Spaß gemacht oder fühlt es sich immer an wie Arbeit?
Beat Föllmi (Theologe und Musikwissenschaftler): Nein, ich bin selbst auch ein begeisterter Konsument dieser Sendungen. Aber 900 Sendungen sind natürlich viel. Da ist mir die Corona-Zeit entgegengekommen, weil ich dort mehr Zeit hatte, um vor dem Fernseher zu sitzen und die Vorabendkrimis zu analysieren.
DOMRADIO.DE: Welche Beobachtungen haben Sie bei der Darstellung von Religionsvertretern und deren Umgebung gemacht?
Föllmi: Während andere Berufsgruppen wie Lehrer oder Politiker aus den verschiedensten Motiven kriminell werden oder morden, beispielsweise aus Geldgier oder Eifersucht, tun dies religiöse Menschen in diesen Serien sehr oft gerade weil sie religiös sind. Sie sind verdächtig. Sie sind seltsam, vielleicht sogar fanatisch. Sie morden, weil sie religiös sind. Das ist eine große Auffälligkeit in der Darstellung.
DOMRADIO.DE: Klischees helfen uns, die Welt zu ordnen und besser zu verstehen. Aber haben auch eine Kehrseite. Sie vereinfachen manchmal und reproduzieren Vorurteile. Gab es auch Darstellungen, die Sie geärgert haben?
Föllmi: Ja, das gab es. Was mich immer wieder sehr geärgert hat, war das, was ich in meinem Buch den "religiösen Analphabetismus" nenne. Das heißt, dass religiöse Dinge einfach kreuzfalsch dargestellt werden. Ich frage mich dann, warum dort niemand besser recherchiert. In einem Film kommt zum Beispiel eine katholische Freikirche vor. Auch wenn man nur ganz wenig vom Katholizismus versteht, weiß man, dass es keine katholische Freikirche gibt.
Oder wenn in einem Kloster der Abt sagt, dass er kein Mitgliederverzeichnis seiner Mönche hätte. Die Macher haben offensichtlich keine Ahnung, wie ein katholisches Kloster organisiert ist. Geschweige denn, was man machen muss, damit man aufgenommen wird. Dann wird es so dargestellt, als könnten sich dort irgendwelche Killer und merkwürdige Leute tummeln. Ich muss betonen, dass das als realistisches Format dargestellt wird, nicht als Parodie.
DOMRADIO.DE: Gibt es auch positive oder humorvolle Darstellungen von Religionen in Krimis? Oder gab es etwas, das Sie überrascht hat?
Föllmi: Es ist selten, aber es kommt vor. In einer Folge von "Alles Klara" kommt beispielsweise einmal eine Verwandlung eines stockreligiösen Menschen vor, der sich durch eine Predigt öffnet und anderen Menschen, vor allem seinen Kindern, wieder als liebender Vater begegnen kann.
In der Predigt kam ein richtiger Zuspruch vor, ein Psalmspruch. Das hat mich doch verwundet, dass auch gezeigt wird, dass es Spiritualität gibt, die Menschen auch aufschließen kann und nicht nur dieses Elende, diese Zitate von "Mein ist die Rache, spricht der Herr" und solche Dinge, die auch immer und immer wieder vorkommen.
DOMRADIO.DE: Wie erklären Sie sich das, dass Religion häufig so negativ dargestellt wird?
Föllmi: Ich denke, das hängt damit zusammen, dass der religiöse Mensch in unserer Gesellschaft immer mehr eine Ausnahmeerscheinung ist. Versuchen Sie mal auf einer Party zu sagen, dass sie ein religiöser Mensch und gläubig sind. Sie können über alle möglichen sexuellen Praktiken sprechen, aber über den Glauben sollten Sie besser nicht spreche. Sonst hält man Sie für etwas schrullig. Außerdem gibt es eine grundsätzliche Religionskritik, die wir seit Feuerbach und seit Siegmund Freud in der europäischen und speziell in der deutschen Kultur haben.
DOMRADIO.DE: Was würden Sie den Fernsehmachern und den Drehbuchautoren gerne einmal sagen?
Föllmi: Ich sehe mich als Wissenschaftler eher als Beobachter. Ich finde, dass die Kunst zu zeigen hat, was sie will. Ich will mich nicht einmischen, aber es würde sich sicherlich lohnen Religion als ein spirituelles Phänomen anzuschauen. Ein Phänomen, wo Menschen nicht nur Glaubenssätze haben und fanatisch sind, sondern wo Menschen spirituell tätig sind.
Man sieht das beispielsweise sehr gut in diesen Serien, wenn der Buddhismus oder andere religiösen Praktiken auftauchen. Dann sind das meistens Frauen mittleren Alters, die emotional unterbesetzt dargestellt werden. Das finde ich schon sehr übel. Da sollte man meiner Meinung nach auch der Frage nachgehen warum junge Frauen in ein Kloster gehen. Dafür gibt es durchaus auch spirituelle Gründe. Solche Dinge zu zeigen, fände ich durchaus spannend.
DOMRADIO.DE: In Ihrer Forschung haben Sie sich auf Vorabendkrimis konzentriert. Haben Sie schon ein nächstes Filmforschungsprojekt im Auge?
Föllmi: Es würde mich sehr interessieren, apokalyptische Katastrophenfilme zu untersuchen. Wir leben in einer Zeit, in der solche Endzeitvorstellungen wieder sehr stark da sind. Stichwort Klimakrise. Aber auch, dass Außerirdische kommen und die Erde zerstört wird. Solche endzeitlichen Vorstellungen finden sich in Filmen sehr oft. Da werden oft biblische Muster verwendet wie die Sintflutgeschichte oder die Apokalypse. Das wäre schon interessant, solche Dinge zu untersuchen.
Das Interview führte Elena Hong.