Theologe sieht im Teufel vor allem eine Projektionsfläche

"Im Prinzip eine sehr billige Erklärung"

In dem Buch "Wer zur Hölle ist der Teufel?" blickt der Theologe und Co-Autor Simone Paganini auf die dem "Leibhaftigen" historisch zugeschriebenen Merkmale. Der Alttestamentler sieht im Teufel eine theologische Sackgasse.

Symbolbild Maskenhafte Darstellung des Teufels / © GOLFX (shutterstock)
Symbolbild Maskenhafte Darstellung des Teufels / © GOLFX ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Ob Satan oder Beelzebub, Luzifer oder Diabolus: Teuflische Gestalten tauchen zu allen Zeiten und in allen Religionen klassischerweise als Gegenspieler Gottes auf. Im Alten Testament tritt der Teufel gleich zu Beginn in der Gestalt der Schlange als Verführer in Erscheinung. Ist das typisch, dass der in Versuchung führt?

Prof. Dr. Simone Paganini (Theologie-Professor an der RWTH Aachen und Buchautor): Das ist eine sehr interessante Frage. Aber sie ist sozusagen schon etwas verkehrt gestellt. Natürlich kommt die Schlange in den Garten Eden. Aber diese Schlange ist zunächst überhaupt kein Teufel.

Simone Paganini beim DOMRADIO (DR)
Simone Paganini beim DOMRADIO / ( DR )

Sie wird erst später von den Rabbinern und dann auch von den Kirchenvätern in der Kirche als Teufel wahrgenommen. Auch die Apokalypse wird dieser Schlange zugeschrieben.

Es gibt spannende Legenden darüber, wie aus einem ursprünglich über Beine verfügenden Wesen ein kriechendes Tier wurde. Aber im Urtext, wenn wir Genesis 3 lesen, kommt das Wort Teufel nicht vor. Da gibt es einfach nur ein Tier, das die Frau verführt hat. 

Nun war in diesem Garten Eden alles schön und gut. Gott hat das so geschaffen. Die Menschen waren auch gut. Wie kommt so eine Gestalt dorthin?

Das ist ein Problem, das sowohl das Judentum als auch das Christentum, aber im Prinzip auch der Islam hat: Wenn Gott die Welt als eine gute Welt geschaffen hat, woher kommt dann dieses böse Wesen, das wir heute Teufel nennen?

Das ist eine Frage, die immer wieder auftaucht, aber nirgends geklärt ist. Die Idee ist also: Der Teufel, das Böse, ist einfach von Anfang an da.

Und natürlich ist diese Schlange etwas Böses und diese Schlange ist der Teufel. Es ist ein Teufelskreis.

DOMRADIO.DE: Im Neuen Testament hört man immer wieder davon, wie Jesus Dämonen austreibt. Was sagt das über den speziell christlichen Blick auf den Teufel?

Paganini: Das ist auch sehr spannend. Wir sehen, wie sich die Eigenschaften dieser Figur im Laufe der Geschichte verändern.

Im Neuen Testament, wir sind am Ende des ersten Jahrhunderts, haben wir eine relativ klare Dämonologie. Der Teufel war einmal im Himmel, landete aber infolge eines mythischen Kampfes auf Erden.

Es gibt auch sehr viele Texte, die sich damit beschäftigen. Auf der Erde hat dieser Teufel Macht. Er ist zwar besiegt, aber hat er noch Macht über die Menschen.

Eine dieser Mächte oder Eigenschaften, über die der Teufel verfügt, ist, dass er Menschen besitzen kann. Es gibt also Menschen, die vom Teufel besessen sind und dann gibt es wichtige Figuren, religiöse Figuren.

Eine davon ist Jesus. Sie können Menschen vom Teufel befreien, indem sie den Teufel austreiben.

DOMRADIO.DE: Dann gibt es da noch die tragische Figur des Judas, der Jesus verrät. Was hat der mit dem Teufel zu tun?

Paganini: Es gibt zwei Personen aus dem Umfeld Jesu, denen Jesus selbst sagt: Ihr seid vom Teufel besessen. Der eine ist interessanterweise Petrus. Und der wird sogar mit "Du Satan" angesprochen. Der andere ist Judas.

Das größte Übel, das ein Mensch verrichten kann, ist, dass er den Erlöser verrät. Das ist die Vorstellung dahinter. Und weil Judas das getan hat, kann er es natürlich nicht selbst getan haben. Das war ein Werk des Teufels. Darüber kann man viel diskutieren.

Sehr viele Menschen, auch in der Antike, waren damit nie ganz einverstanden. Judas war für sie vielmehr eine Heilsgestalt, die das Sterben Jesu und damit auch seine Auferstehung überhaupt erst ermöglichte.

Judaskuss / © public domain
Judaskuss / © public domain

Doch diese Lehre wurde später verworfen. Judas war vom Teufel besessen, und nur deshalb konnte er Jesus verraten.

DOMRADIO.DE: Der Teufel, das ist ihre These, ist vor allem Projektionsfläche und durch die Geschichte hindurch immer wieder von Mächtigen instrumentalisiert worden. Wann zum Beispiel?

Paganini: Nicht nur von Mächtigen, sondern natürlich auch von weniger Mächtigen. Der Teufel ist die klassische Gestalt, die immer wieder ins Spiel kommt, wenn man keine andere Erklärung hat.

Es gibt eine Epidemie. Wer ist schuld? Der Teufel. Es gibt einen Krieg. Wer ist schuld? Der Teufel. Aber auch in der Familie: Mann und Frau finden nicht zusammen. Wer ist schuld? Der Teufel.

Alles was nicht harmonisch ist, was mit Zwietracht zu tun hat, wird dem Teufel quasi zugeschrieben. Das ist im Prinzip eine sehr billige Erklärung, um alles zu erklären, was in der Politik nicht funktioniert.

Das sehen wir auch heute noch. Es gibt einen Krieg, ohne Namen nennen zu wollen. Es gibt in dieser Geschichte jedenfalls den großen Mann in Russland, das anfangs mit Mordor verglichen wurde. Mordor entstammt natürlich nicht der Bibel. Es entspringt der Feder Tolkiens, der Welt des Herrn der Ringe. Aber Mordor ist nichts anderes als eine Teufelsmetapher.

Also wird der jeweilige Gegner mit dem Teufel in Verbindung gebracht. So kann man Menschen vollständig dämonisieren.

DOMRADIO.DE: Hat dieses Modell der Teufelsfigur als Erklärung dafür, warum das Böse in der Welt ist, den Menschen historisch gesehen das Leben auch schon mal leichter gemacht?

Paganini: Die Vorstellung von dieser Figur entwickelte sich als ein Erklärungsmodell. Man dachte, Gott sei gut, und daran gab es keine Zweifel. Man glaubte, Gott habe die Welt als etwas Gutes erschaffen. Doch plötzlich konfrontiert uns die Realität mit Kriegen, Krankheiten und bösen Menschen, denen es gut geht, während gute Menschen leiden.

Eine hölzerne Teufelsfigur in einer Krippe / © Dieter Mayr (KNA)
Eine hölzerne Teufelsfigur in einer Krippe / © Dieter Mayr ( KNA )

Um all das zu erklären, finden wir am Anfang beispielsweise im Buch des Propheten Jesaja die Idee, dass Gott für das Licht und die Finsternis verantwortlich ist, wie es im Kapitel 45 steht.

Aber die Vorstellung, dass ein guter Gott auch Böses bewirken kann, wurde für die einfachen Menschen irgendwann zu kompliziert.

Es war einfacher, eine Figur einzubringen, die natürlich nicht allmächtig, sondern immer ein Instrument Gottes ist. Der Teufel kann von sich aus nichts tun. Er darf nur auf der Erde aktiv sein, weil Gott es erlaubt. Deshalb erklärt man mit dem Teufel alles, was als schlecht angesehen wird. Natürlich stellt sich dann die weitere Frage: Was für ein Gott erlaubt, dass Böses geschieht? Aber das hat jetzt nicht mehr viel mit dem Teufel zu tun.

DOMRADIO.DE: Der Teufelsglaube hatte durch die Geschichte hindurch gerade auch immer dann Hochkonjunktur, wenn Krisen da waren. Wie ist das in unserer Zeit multipler Krisen?

Paganini: Das sehen wir heute auch in unserer Zeit, zwischen Klimakrise, Pandemie und Kriegen. Der Teufel kommt immer wieder in aller Munde. Wir sehen zum Beispiel, dass vermehrt Netflix-Serien mit Teufelsgestalten produziert werden.

Dann fragt man sich, warum das gerade in einer Gesellschaft geschieht, die immer weniger auf Religion setzt. Eine Gesellschaft, die Religion immer mehr als eine persönliche Angelegenheit betrachtet, hat plötzlich den Teufel wieder gesellschaftsfähig gemacht.

Wenn Sie mich fragen, würde ich einfach sagen, dass dies ein simpler Versuch ist, Dinge zu erklären. Es verrät auch viel über unsere Gesellschaft, in der komplexe Probleme auf einfache Weise erklärt werden müssen, weil die Menschen sonst nicht mithalten können.

Simone Paganini

"Ein billiger Trick, der jedoch seit Jahrhunderten funktioniert."

Alles, was komplex ist, insbesondere das Böse, ist keine einfache Frage. Selbst die Theologie beschäftigt sich seit Jahrhunderten damit, und es gibt keine endgültige Antwort.

Es gibt verschiedene Ansätze zur Annäherung, aber der Teufel ist letztendlich ein einfaches Symbol. Jeder kann es verstehen, man hat Angst davor und bessert sich. Also ja, ein billiger Trick, würde ich sagen, der jedoch seit Jahrhunderten funktioniert.

DOMRADIO.DE: Aber was ist denn die offizielle katholische Lehre? Der Teufel als solcher existiert und wir müssen ihm als Menschen widerstehen?

Paganini: Die Kirche hat sich nur selten mit dem Teufel auseinandergesetzt. Im Mittelalter finden wir die ersten Konzilien und Synoden, die sich damit beschäftigen, aber sie beschreiben hauptsächlich Ketzer als Teufelswerk.

Es wird jedoch weder erklärt noch detailliert dargestellt, warum es den Teufel gibt oder wie er wirkt. Das Böse ist da, der Teufel ist da, aber es gibt keine klare Erklärung dafür.

Übrigens gibt es auch keine Erklärung dafür, warum es Gott gibt. Interessanterweise ist der "Adiabolismus", also der “Verzicht” auf den Teufel, eine Parallele zum Atheismus und etwa 100 bis 500 Jahre älter als der Atheismus.

Teufelsmaske der Art Hornberger Hörner / © Volker Hasenauer/KNA (KNA)
Teufelsmaske der Art Hornberger Hörner / © Volker Hasenauer/KNA ( KNA )

Wenn Menschen entscheiden müssen, auf was sie verzichten wollen, neigen sie dazu, zuerst auf den Teufel und dann auf Gott zu verzichten.

Der Teufel ist eine Figur, die schwer zu erklären ist. Die katholische Kirche sagt, dass es ihn gibt und man daran glauben muss, aber woher er kommt und warum er existiert, wird nie ganz klar.

Im Katechismus der Katholischen Kirche wird zumindest erklärt, dass der Teufel sich freiwillig und für immer gegen Gott aufgelehnt hat.

Es stellt sich die unmittelbare Frage: Was für ein allmächtiger Gott erlaubt so etwas? Diese Frage bleibt jedoch unbeantwortet. Es ist also eine problematische Figur, wie Sie sehen können.

DOMRADIO.DE: Löst diese Figur des Teufels denn überhaupt ein einziges theologisches Problem?

Paganini: Natürlich nicht. Alle Probleme, die mit den Teufel entstehen, sind Probleme, die eigentlich auf der Ebene der Theodizee zu lösen sind, beziehungsweise auf der Ebene Gottes.

So stellt sich immer die Frage: Wie gehe ich mit Gott um, was ist Gott für mich? Und natürlich sind wir im Christentum durch Jesus mit einem Bild Gottes vertraut, das identisch mit der Liebe ist. Das ist ein Bild, das aber ein bisschen der Geschichte der Menschheit widerspricht und auch der Geschichte der Kirche.

Deswegen hat man den Teufel hineingebracht. Ich glaube, dass eine vernünftigere, reifere, und aufgeklärte Auseinandersetzung mit der Figur Gottes den Teufel quasi entbehrlich macht.

DOMRADIO.DE: Wollen Sie in dieser Hinsicht mit Ihrem Buch auch noch ein bisschen Aufklärungsarbeit leisten?

Paganini: Also das Büchlein “Wer zur Hölle ist der Teufel?” beschreibt nicht so sehr den Teufel, sondern seine Eigenschaften.

Es geht um jene Merkmale, die man in der Gesellschaft für gewöhnlich als “teuflisch” umschreibt. Das Teuflische kann zum Teil aber auch etwas Positives sein.

Simone Paganini

"Gibt es den Teufel wirklich, brauche ich ihn wirklich oder eben nicht?"

Der Aachener Dom oder die Aachener Printen wären ohne den Teufel zum Beispiel nicht entstanden. Und der Kölner Dom hat auch sehr schöne Teufelslegenden.

Der Teufel ist nicht nur für das Böse zuständig, sondern kann auch ins Positive gewendet werden, wenn man eben gut mit ihm umgehen kann.

Wenn man sich die Eigenschaften des Teufels in der Geschichte anschaut, kann man vielleicht ein bisschen aufgeklärter in die Welt gehen und sich fragen: Gibt es den Teufel wirklich, brauche ich ihn wirklich oder eben nicht?

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR