Theologe setzt auf regionale Missbrauchsaufarbeitung

"Für unabhängige Aufarbeitung"

Nach der bundesweiten EKD-Missbrauchsstudie braucht es nach Ansicht des katholischen Theologen Magnus Striet nun weitere regionale Untersuchungen. Dabei müsse auch das Handeln von Leitungsverantwortlichen in den Blick genommen werden.

Magnus Striet, Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Freiburg / © Julia Steinbrecht (KNA)
Magnus Striet, Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Freiburg / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Das schreibt der Vorsitzende der Aufarbeitungskommission des Erzbistums Freiburg in einem Gastbeitrag für die "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" (Donnerstag).

Die historischen Aufarbeitungsprozesse könnten ähnlich wie in der katholischen Kirche nur regional stattfinden, so Striet. "Für die 20 Landeskirchen der EKD muss das bedeuten: Unabhängige Aufklärung ist notwendig, und wenn Amtsträger ihrer Verantwortung wissentlich nicht gerecht wurden, muss das benannt werden."

An der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der evangelischen Kirche gibt es Kritik / © Julian Stratenschulte (dpa)
An der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der evangelischen Kirche gibt es Kritik / © Julian Stratenschulte ( dpa )

Ausmaß größer als bisher bekannt 

Die erste bundesweite Missbrauchsstudie für evangelische Kirche und Diakonie war vergangene Woche in Hannover vorgestellt worden. Demnach ist das Ausmaß sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche viel größer als bisher bekannt. Zudem stellen die Autoren der Kirche im Umgang mit Betroffenen ein schlechtes Zeugnis aus. Namen von verantwortlichen Amtsträgern nennen sie jedoch nicht. Für die katholische Kirche hatten Forscher bereits 2018 eine bundesweite Studie vorgestellt. Daraufhin hatten viele Bistümer regionale Untersuchungen in Auftrag gegeben.

Offenbarungseide werden erwartet

Laut Striet hat die bistumsbezogene Aufarbeitung in der katholischen Kirche inzwischen so manchen Kirchenfürsten vom Denkmal gestoßen. Als Beispiele nannte er die Kardinäle Joachim Meisner, Karl Lehmann, Joseph Höffner und Julius Döpfner sowie den früheren Freiburger Erzbischof und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. "Mit Spannung kann erwartet werden, wer auf evangelischer Seite noch den Offenbarungseid wird leisten müssen."

Dieser Prozess sei schmerzhaft, räumt der Theologe ein. "Aber schließlich haben die Betroffenen sexualisierter Gewalt ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen."

Striet fordert außerdem, die Politik solle sich des Themas entschiedener annehmen als bisher. Es brauche eine nicht auf kirchliche Einrichtungen beschränkte große Dunkelfeldstudie, die das gesamte Ausmaß des Missbrauchs in Deutschland in den Blick nehme.

Missbrauchsstudie der Evangelischen Kirche

Die Zahl der Missbrauchsopfer in der evangelischen Kirche und Diakonie ist viel höher als bislang angenommen. Laut einer Studie sind seit 1946 in Deutschland nach einer Hochrechnung 9.355 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Die Zahl der Beschuldigten liegt bei 3.497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsopfern aus. Die Forum-Studie wurde von einem unabhängigen Forscherteam erarbeitet und in Hannover veröffentlicht.

Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr (dpa)
Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr ( dpa )
Quelle:
KNA