Theologe fordert Atomwaffen-Boykott

"Das ist ein Spiel mit dem Feuer"

Das Schreckgespenst des Kalten Krieges scheint nun wieder topaktuell. Der Friedensforscher Heinz-Günther Stobbe fordert nicht nur eine Ächtung, sondern einen Boykott von Nuklearwaffen, da die Drohungs-Strategie nicht aufgegangen sei.

Großbritannien soll Atomwaffenarsenal aufgeben / © itakdalee (shutterstock)
Großbritannien soll Atomwaffenarsenal aufgeben / © itakdalee ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wie beurteilen Sie die Gefahr, dass Russland im Krieg gegen die Ukraine Atomwaffen einsetzt?

Heinz-Günther Stobbe / © Julia Steinbrecht (KNA)
Heinz-Günther Stobbe / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Heinz-Günther Stobbe (em. Prof. für theologische Friedensforschung): Das kann im Augenblick keiner wirklich genau abschätzen. Das Kernproblem ist, dass die ganze Strategie der nuklearen Abschreckung darauf beruht, dass der potenzielle Gegner rational handelt. Wenn man das unterstellt, wird man sagen dürfen, dass es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass Putin einen Atomschlag ausführt. Aber es weiß keiner, inwieweit dieser Mann tatsächlich noch rational handelt. Er riskiert ziemlich viel und es kann im Augenblick niemand wissen, wie weit er bei diesem riskanten Spiel gehen will.

DOMRADIO.DE: Heutzutage sind viele Staaten auf der Welt Atommächte, andere streben nach der Atomwaffe. Die USA und Russland verfügen immer noch über die größten Arsenale. Kann es einen Weg geben, der weltweit weg von Atomwaffen führt?

Stobbe: Es muss einen Weg geben. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Nicht nur mit einem normalen Feuer, sondern mit einem sehr, sehr großen und heftigen Feuer. Solange die atomare Abschreckung besteht, bleibt dieses Spiel unauflösbar, das ist völlig klar. Also muss man langfristig von dieser Strategie wegkommen. Im Augenblick ist die Situation allerdings so, dass fast nichts dafür spricht, dass das in absehbaren Zeit geschehen wird. Die Zeichen, vor allem der Rüstungskontrollpolitik und der Aufrüstung deuten in eine ganz andere Richtung. Alle Atomwaffenstaaten sind dabei, ihre Atomwaffen zu modernisieren. Das heißt nicht, dass es schlimmer wird, als es vorher war. Es zeigt aber ganz eindeutig, dass man nicht bereit ist die Strategie der atomaren Abschreckung abzuschaffen oder dieses Dilemma der atomaren Abschreckung zu überwinden. Es gibt keine Anzeichen dafür. Leider Gottes ist das so.

DOMRADIO.DE: Welche Haltung sollte die Kirche in Deutschland zur Diskussion der Atomwaffen einnehmen? Sind Atomwaffen grundsätzlich schlecht?

Stobbe: Die katholische Kirche hat da schon seit längerer Zeit eine bestimmte Position. Sie befindet sich da auch in gewisser Übereinstimmung mit der evangelischen Kirche: Wenn man überhaupt die Strategie der atomaren Abschreckung ethisch rechtfertigen kann, dann nur als eine Übergangsstrategie, die darauf abzielt, durch ernsthafte und glaubhafte Bemühungen, das System zu überwinden.

Atomare Abschreckung kann keine dauerhafte Strategie der Friedenssicherung sein. Der Papst hat diese Position noch einmal verschärft, indem er gesagt hat, dass die Atomwaffenstrategie in sich verwerflich sei. Allein der Besitz von Atomwaffen ist moralisch verwerflich. Nicht nur die Anwendung. Die Deutsche Kommission Justitia et Pax in der katholischen Kirche Deutschlands hat sich diesem Standpunkt angeschlossen und hat ihn noch mal untermauert, hat ihn argumentativ noch mal begründet. Das ist eine gewichtige Stimme. Das bedeutet nicht, dass Atomwaffen morgen verschwinden können. Die Kommission hat dafür plädiert, die Atomwaffen zu ächten. Das heißt, sich zu verpflichten, diese verwerflichen Waffen und diese in sich verwerfliche Strategie, zu überwinden. Im Augenblick gibt es auf keiner Seite irgendein ernsthaftes Anzeichen dafür, dass die Atommächte dafür bereit sind.

DOMRADIO.DE: In den vergangenen Jahrzehnten gab es eine moderate Haltung zu Atomwaffen. Sie wurden als Mittel zur Friedenssicherung akzeptiert. Was würde sich ändern, wenn man von jetzt an Atomwaffen ächtet und boykottiert?

Stobbe: Wenn man sagt, dass Atomwaffen ein legitimes Mittel zur Friedenssicherung sind, geht man keine Verpflichtung ein, die Atomwaffen abzuschaffen. Das Ziel muss aber eine atomwaffenfreie Welt sein. Und da Verträge oder dergleichen die atomare Aufrüstung zu stoppen keine Wirkung gezeigt haben, ist nach meiner Überzeugung der Zeitpunkt gekommen, an dem man grundsätzlich sagen muss, dass wir nicht bereit sind, dieses Abschreckungsprinzip zu tolerieren. Dieses System Abschreckung hält uns unter dem Bann einer ständigen und unerträglichen Bedrohung.

Das ist ja der Punkt. Wir haben das verdrängt. Seit Jahrzehnten leben wir mit der ständigen Gefahr eines Atomkrieges. Sie war immer da. So lange Atomwaffen existieren ist diese Gefahr da. Wir müssen uns entscheiden, ob wir unter dieser ständigen Drohung, bis hin zum Sanktnimmerleinstag, leben wollen, oder ob wir uns ernsthaft anstrengen wollen, dieses System des furchtbaren Schreckens abzuschaffen. Dafür braucht es einen ernsthaften und glaubwürdigen Anfang. In der Kommission haben wir gesagt, dass wir als ersten Schritt grundsätzlich sagen, dass diese Waffen verwerflich sind, und dass wir die nicht mehr wollen. Dass wir alles dafür tun, um davon wegzukommen. Das geht nicht von heute auf morgen. Das wird dauern und dauern. Und es braucht eine geduldige, ernsthafte Politik.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Viele Staaten wehren sich gegen Atomwaffen

Es sind auf den ersten Blick nicht die einflussreichsten Staaten, die sich in Wien zu ihrer ersten Konferenz versammelt haben. Bangladesch, Kasachstan, Nigeria, Kiribati, Chile... Sie gehören zu den 65 Ländern, die den neuen UN-Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) ratifiziert haben, 86 haben ihn zumindest unterschrieben.

Atomwaffen Symbolbild / © gerasimov_foto_174 (shutterstock)
Atomwaffen Symbolbild / © gerasimov_foto_174 ( shutterstock )
Quelle:
DR